Dionysos (Διόνυσο) ist ein antiker Gott der Freude, der Fruchtbarkeit, des Weines und Rausches, aber auch der Ekstase und des Wahnsinns. Seine Beinahmen sind so vielfältig, dass er gleich noch einen weiteren dazu erhielt: Der Vielnamige (Polyônomos). Mit sein bekanntester Name, war wegen des Lärms, den er und sein Gefolge in der Ekstase veranstalteten, Bromios (Lärmer) oder Bacchus (Rufer). Adam P. Forrest zählt so in seinem Werk Names and Epithets of Lord Dionysos über 110 Beinamen des Gottes auf. Dies weist bereits darauf hin, dass die Wurzeln der Dionysos-Verehrung weit in die Vergangenheit zurückreichen und das Gottesbild vermutlich aus einer Verschmelzung hunderter Erfahrungen entstand. So wirken in diesem aus der Bronzezeit, vielleicht sogar aus dem Neolithikum stamenden Gott, Vorstellungen mit, die wir durchaus als schamanisch bezeichnen können.
Der verbreitetste Mythos sieht Dionysos als Kind des Zeus mit der Sterblichen Semele. Letztere schaute Zeus in seiner wahren Gestalt und wurde daher von innen heraus verbrannt. Doch Zeus rettete das Kind, das Semele unter dem Herzen trug und trug dieses in seinem Schenkel aus (Dionysos wird daher auch der "Zweimalgeborene" genannt). Andere Mythen sehen die Erdgöttin Demeter, die Korngöttin Io, die Unterweltsgöttin Persephone (der sich Zeus als Schlange näherte), sowie Lethe (die zugleich den Unterweltsfluss darstellt) als Mutter des Dionysos. Seine Herkunft ist also unmittelbar vom Göttervater Zeus und Erd- und Unterweltsgöttinnen ableitbar. Wie die Ahnen in den schamanische Kulturen sind in Dionysos Tod und Leben eng verbunden, wie diese ist er für die Fruchtbarkeit des Landes zuständig.
Um Dionysos vor den Nachstellungen der eifersüchtigen Zeus-Gattin Hera zu schützen, wuchs der Knabe zunächst in einer Höhle auf. Mit zu seinem liebsten Spielzeug gehört das Schwirrholz, das in der Steinzeit und noch heute bei den Aborigines in Australien hohe kultische Bedeutung besitzt und unter anderem zur Kommunikation mit den Ahnen dient.
Doch Hera entdeckt die Frucht des Seitensprungs ihres Gatten Zeus und sendet Titanen, um Dionysos zu töten. Sie – die Titanen, die Urkräfte der Gaia, der Erde - ergreifen Ihn und zerreissen ihn in sieben Teile, werfen Ihn in einen Kessel auf einem Dreifuß und kochen ihn.
Doch Dionysos bleibt nicht für immer tot. Je nach Version des Mythos fügt die Göttin Rhea den Leib wieder zusammen und übergibt diesem Wiederauferstandenen an Persephone. In einem anderen Mythos ist es die Erdgöttin Demeter, die die Glieder in sich aufnimmt und dort ein Weinstock ensteht und in wieder einer anderen Version wird Dionysos in Delphi von Apoll bestattet, wo jährlich seine Auferstehung gefeiert wird. Aus der Vermischung der Asche des Dionysos und der von Zeus getöteten Titanen soll das Menschengeschlecht entsprungen sein.
Einerseits ist Dionysos damit einer jener auferstandenen Götter wie Osiris oder Christus, andererseits scheint das typische schamanische Motiv der Zerstückelung durch die Mythen hindurch. Die schamanische Zerstückelung ist eine Erfahrung des Todes des eigenen Egos und das Wiederauferstehen als eine Art göttliches oder gesegnetes Wesen. Der Name "Der Zweimalgeborene" bezieht sich also durchaus auch auf diese Wiedergeburt! Gleichzeitig ist Dionysos auch der große Urahne des Menschengeschlechts und wird wie die Ahnen um Fruchtbarkeit und Erntesegen angerufen.
Doch Hera findet Dionysos erneut und schlägt ihn mit Wahnsinn. Hier nimmt Dionysos selbst die Rolle des "Schamanen" an. Der "göttliche Wahnsinn" galt in vielen Kulturen als ein typisches schamanisches Leiden. Durch dieses waren sie der normalen Menschengemeinschaft entrückt und zugleich dem Göttlichen nahe. Dionysos zieht mit einer großen Gefolgschaft durch die Welt: Nach Ägypten, Syrien, ja sogar Indien soll es ihn verschlagen haben. In seinem Gefolge befinden sich die Satyren, die mit beständig errigiertem Phallus die Urkraft und Fruchtbarkeit der Natur widerspiegeln. Es befindet sich aber auch eine große Zahl an Frauen in seinem Gefolge. Entgegen der antiken Ordnung machten sich im Dionysoskult Frauen auf den Weg in die Berge, um sich dort vom Gott Dionysos ergreifen zu lassen. Ekstatische Rituale, die durch Musik, Rythmen, Schwirrhölzer und Alkohol induzierte Trance, wie wir sie aus dem Schamanismus kennen, waren fester Bestandteil des Dionysoskultes.
Dionysos hatte damit eine exoterische und eine esoterische Erscheinungsform. Der exoterische Gott ist ein lustiger, harmloser Gott des Weines und Tanzes, seine esoterische Erscheinung aber zeigt Dionysos als eine Urerfahrung, durch die man über die Trance zur Unterwelt und den Ahnen vordringt, ihnen den eigenen Körper darreicht und in einer Bessenheitsekstase, die jenen des Vodookultes nicht unähnlich ist, die Ahnen in die "Mittlere Welt" holt. Die Griechen selbst setzten Dionysos sowohl dem Osiris als auch dem Hades gleich, jenen Göttern der Ahnenreiche. Durch die Verbindung mit ihnen wird in den Dionysoskulten nicht nur die Fruchtbarkeit auf Erden hervorgebracht, sondern sogar das Leben an sich erst erzeugt. Im Mythos der Orphiker stellte sich dies so dar: Durch die Zerstückelung des Dionysos entsteht hier das Weltenei (also Himmel und Erde) und damit die Schöpfung an sich.
Die Ekstase der Dionysosverehrung, die Bessenheitstrance, die Schöpferkraft der sexuellen Erregung, die Zerstückelung und Wiedergeburt, Symbole wie das Schwirrholz und das Attribut der gehörnten Ziege ... all dies steht im Widerspruch zur damals bereits entstandenen antiken Zivilisationsordnung, es sind Anklänge an eine viel archaischere Epoche des menschlichen Bewusstseins, einem Kultus den wir getrost als schamanisch benennen können.
Schamanismus Schulungen
Bild © Stefan Brönnle (unter Verwendung von Sergey Goryachev + Dmitry Strizhakov Shutterstock)
Kommentare