Kommt es nur mir so vor, oder erhöht sich die Hitzigkeit der geführten Dialoge? Wird die emotionale Qualität unserer zwischenmenschlichen Interaktion heißer? Kocht es da in uns allzu schnell hoch? Und gibt es vielleicht eine Beziehung zwischen dem Innen und Außen, zwischen Mensch und Erde?
Ohne auf die kausalen Ursachen eingehen zu wollen: In der Tat erwärmt sich die Erde. Wenn man nicht alle Wissenschaftlichkeit im Feuer der Fakenews verbrennen will, wenn es überhaupt noch eine Basis eines gemeinsamen Sachbezugs geben mag und nicht jeglicher gemeinsamer Boden unter unseren Füßen zu Asche geredet wurde, dann liegen die Tatsachen offenbar vor uns: So hat sich bezogen auf den Nullwert der Welt-Durchschnittstemperatur zwischen 1961 und 1990 die Fieberkurve der Erde bis heute um 0,8 Grad Celsius erhöht, gegenüber 1910 sogar um 1,2 Grad Celsius. Die Hitze nimmt auch in Deutschland zu: Die Tage mit über 30 Grad Celsius pro Jahr haben sich in den letzten 49 Jahren verdoppelt und auch die Hitzewellen werden häufiger. Nach Angaben des Gesundheitsamts Nürnberg in Zusammenarbeit mit dem Umweltamt Nürnberg hat sich die Zahl der Hitzewellen pro Jahr (mindestens 5 Tage mit über 30 Grad Celsius) zwischen 1980 und heute lokal sogar vervierfacht.
Mensch und Erde stehen in wechselseitiger Verbindung. Die große Hitzewelle 2003 forderte 70.000 Todesopfer in Europa, die Hitzewelle in Russland 2010 kostete geschätzten 55.000 Menschen das Leben. Die ADAC-Unfallforschung zeigte, dass der Anteil konzentrationsrelevanter Unfälle an der Gesamtunfallzahl bei Temperaturen unter 15 Grad Celsius bei 47 % liegt, an heißen Tagen dagegen bei 63%. Hitze macht uns unkonzentriert.
Zunehmende Hitze hat nicht nur einen Einfluss auf unsere körperliche Befindlichkeit, sondern auch auf unsere seelische. Nach der Psylex-Studie der Universitäten Lehigh und Northwestern von 2017 reagieren Menschen sehr stark emotional auf Temperaturveränderungen. In der Studie wurden ProbantInnen über eine Wohltätigkeitsorganisation, die Kindern und unterprivilegierten Personen in der örtlichen Gemeinschaft half, befragt. In einem angenehm klimatisierten Raum stimmten 95 % zu, zumindest eine der Fragen zu beantworten, in einem unangenehm warmen Raum dagegen nur 64%. Auch die Hilfsbereitschaft nahm ab. Im unangenehm warmen Raum halfen auch diejenigen, die sich prinzipiell bereit erklärt hatten, Unterstützung zu geben, nur 16% der Hilfe, die im angenehm klimatisierten Raum gegeben wurde. Hitze macht uns offenbar anderen gegenüber gleichgültiger.
Nach der „heat hypothesis" des Psychologen Craig Anderson von der Iowa State University macht uns Hitze nicht nur gleichgültiger, sondern sogar feindseliger: Ab 32 Grad Celsius (90 Grad Fahrenheit) kommt es zu deutlich mehr Fällen häuslicher Gewalt, Beleidigungen und Körperverletzungen, wie die Auswertung der Kriminalstatistiken ergab. Nachfolgende Laborstudien zeigten, dass Hitze die ProbantInnen anfälliger für negative Gedanken machte.
Auch im weltweiten Konflikten scheint sich diese Hypothese zu bestätigen: Bei der Auswertung von über 60 Studien von mehr als 190 Forschern unterschiedlichster Disziplinen (Psychologie, Soziologie, Archäologie und Politikwissenschaften) zeigte sich, dass umso mehr gewalttätige Konflikte auftreten, je wärmer es wird – zwischen einzelnen Menschen, zwischen sozialen Gruppen und Nationen. Aufstände und der Fall von Dynastien in China korrelierten mit heißen Dürreperioden [Quelle: Die Welt ]
Hitze macht uns nachweislich unkritischer, weniger hilfsbereit, aggressiver, ja gewalttätiger.
Insofern besteht da offenbar ein starker Zusammenhang zwischen den zunehmenden Erdtemperaturen und unserer inneren Haltung. Erde und Mensch spiegeln sich. Wut und Aggression wurzeln im limbischen System des Menschen. Fokuspunkt ist die Amygdala. Sie sorgt für die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin, die wiederum Blutdruck und Puls steigen lassen und im Bereich der Haut zu Gefäßverengungen und damit Temperaturerhöhungen führen. Offenbar wirkt auch der umgekehrte Weg.
Der Mensch hat in seinem Verhältnis zur Erde einen Weg der Überhitzung eingeschlagen. Wir gewinnen bis heute den Hauptteil unserer Energie bewusst durch Temperaturerhöhungen. Der Verbrennungsmotor funktioniert nach dem Prinzip kleiner fokussierter Explosionen, die Kolben heben und senken. Die Atomkraft beruht auf der Spaltung und damit Zerstörung der Urelemente der Schöpfung. Aus dieser Zerstörung wird Hitze frei, die letztlich in der Funktionsweise einer großen Dampfmaschine Wasser verdampft und damit Turbinen antreibt. Auch unsere Massenkommunikation – die Mobilfunktechnologie – erfolgt mittels Hochfrequenz, die zu Erwärmungen führt. Der Effekt wird sich mit Einführung von 5G vermutlich vervielfachen. Wir haben uns kulturell auf die zerstörerische und hitzebasierende Energiegewinnung und Kommunikation fokussiert. Ist sie nicht genau das, was auch das Verhältnis des Menschen zur Natur ausmacht? Der Mensch agiert exotherm, er setzt Hitze frei, die emotional mit Aggression verbunden ist.
Wäre es nicht an der Zeit, diesem Höllenfeuer-Teufelskreis ganz andere Reaktionen entgegenzusetzen – und zwar sowohl klimapolitisch als auch emotional? Solarkollektoren z.B. werden durch die Umwelttemperatur aufgeheizt, sie nehmen die Wärme des Umfeldes auf. Ein Beispiel für eine endotherme Reaktion ist die Basis unseres Lebens auf der Erde: Die Photosynthese. Könnte es gar sein, dass die Erde mit der endothermen Reaktion des Schmelzens des Eises der Gletscher und Pole ein Gegengewicht zur menschlichen – exothermen – Zerstörungswut aufbaut? Was wäre, wenn wir selbst begännen „Wärme wieder an uns heranzulassen"?
Wenn wir uns nicht gegenseitig - und mit uns zahlreiche Tiere und Pflanzen – überhitzen und verbrennen wollen, so müssen wir lernen, die Emotionalität aufzunehmen und uns auch von der Natur berühren zu lassen, anstatt die Basis ihrer (und unserer) Lebenskraft einfach zu verheizen. Machen wir aus der Wüste unserer Herzen wieder einen lebendigen Wald. Der Mensch ist ein Teil der Erde. Fangen wir wieder an, uns als solche zu benehmen!
Siehe auch den Blogbeitrag: Lasst das Seelenwasser fließen!
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Grafiken © Stefan Brönnle unter Verwendung der im Bild genannten Quellen
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