Brauchtum zieht Touristen an. Das weiß auch die Stadt München. Seit 2001 treffen in der Adventszeit über 300 Krampusse, Perchten und Klausen aufeinander und ziehen bis zu 80.000 Schaulustige an.
Was man zu sehen bekommt, ist mehr als spektakulär: Wunderbare geschnitzte hölzerne Masken - Mooshexen, gehörnte Gestalten und Tierwesen. Das ganze ist ein riesen Spass, denn zimperlich darf man nicht sein. Hat Dich eines der Wesen im Visier, heißt es schnell sein: Mützen sind ein beliebtes Angriffsziel, aber durchaus schmerzhaft kann der Schlag mit einer Rute oder Weidengerte werden. Man bemüht sich darum, die Härte der Schläge „anzupassen", um größere Verletzungen zu vermeiden, aber weh tut es trotzdem. Wer das nicht abkann, sollte das Spektakel besser meiden. Kreischende und rennende Mädchen übertönen den Klang der Schellen und Kuhglocken. Für viele eben ein Mordsspass und doch ist es mehr...
Auch wenn die Tradition erst vor wenigen Jahren in München wiederbelebt wurde und sich termingerecht Krampusse und Perchten hier treffen, gehört der Krampus, die Percht u.a. doch zum traditionellen Brauchtum der Alpenländer. Die Gestaltgebung und Personifikation der Urkräfte der Natur, der Winterdämonen und Naturgeister soll diese gleichsam beschwören, die im Winter ruhende Kraft für das kommende Frühjahr vorbereiten.
- Die Perchten – hier genauer die Schirchperchten (die hässlichen Perchten) treten in der Regel in den Raunächten oder in der Fastnacht, gegen Ende des Winters auf. Die letzte Raunacht ist so z.B. die Perchtnacht.
- Der Krampus ist der dunkle Begleiter des Nikolaus. Wobei es durchaus ganze Horden von Krampussen gibt. Im bairisch-österreichischen Ostalpenraum werden Krampusläufe um den 6. Dezember zelebriert. Wie Nikolaus Konnotationen zum germanischen Odin/Wotan hat, so entspricht der Krampuslauf der wilden Jagd. Das Heer der Geister und Ahnen ist gefährlich, aber zugleich Garant der Fruchtbarkeit des nächsten Frühjahrs.
- Im alemanischen Alpenraum, im Allgäu oder der Schweiz, spricht man hier vom Klausentreiben oder Klausenjagen (bzw. Chlausjagen). Der Name verweist auf Nikolaus (=Klaus).
So geht es bei dieser Wilden Jagd auch darum, die Fruchtbarkeit zu aktivieren. Darum sind eben junge Frauen die bevorzugten Jagdobjekte. Der Schlag mit der Rute ist das Werkzeug diese Lebenskraft zu übertragen.
Wenn nun – sicher auch um den Tourismus anzukurbeln – über 300 Wesen zwei Stunden lang die Mitte der Stadt unsicher machen, dann weiß der „gebildete Verstand" natürlich, dass Menschen in der Verkleidung stecken...und doch geschieht etwas, das der Ratio nicht zugänglich ist. Das „Verwuscheln" der Haare wirbelt auch Deine Gedanken durcheinander (und befreit so von alten Denkmustern), der Schlag mit der Rute schmerzt und zugleich breitet sich von der schmerzenden Stelle eine Kraft im Körper aus. Lockt Dich eine der Gestalten, weißt Du nie, ob Du „gesegnet" oder geschlagen wirst. Die Begegnung will gut überlegt sein. Zeig mir den, der da nicht zögert. Ein erhaltenes Geschenk (heute meist eine Süßigkeit) ist darum viel mehr als nur eine Gaumenfreude: Die Geister haben Dich beschenkt!
All das geschieht auch heute noch – jenseits des Tourismus, jenseits der Gaudi. Mag es das „morphische Feld" sein, in das sich die Schausteller der Geistwesen einklinken, die Kraft der Maske oder eine archaische Form des Method Acting. Die Kraft ist präsent, die Geister und Ahnen sind es auch:
Der Schamanismus lebt!
Alle Bilder: Krampuslauf München 2018 © Stefan Brönnle
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