„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist."
(Johannes 1,1-4). So beginnt das Johannesevangelium. Gott und das Wort werden gleich gesetzt.
Bei den Quiché-Maya (Guatemala) erschaffen Tepeu und Gucumatz mit ihren Worten die Welt: „Es werde Licht! Dass Himmel und Erde sich erhellen! ...So sprachen sie. Darauf schufen sie die Erde. [...] „Erde!" sagten sie, und im Augenblick war sie geschaffen". Im finnischen Schöpfungsmythos erschafft Luonnatar die Welt: „Ihre Stimme hallte über das weite Meer, da wuchsen aus ihren Worten weiße Federn und Flügel".
In der hebräischen Kabbala besitzt jeder Lautwert einen Aspekt der Wirklichkeit. Indem das Wort ausgesprochen wird, wird seine Kraft gegenwärtig. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!" (Jesaja 43,1) spricht der Gott der Israeliten zu Jakob. Daher wurde der Name Gottes in der Regel im Judentum nicht ausgesprochen. Dort, wo in der Tora das Wort „JHWH" (Jahweh) stand, wurde beim lauten Lesen des Textes der Name durch „Adonai" (Herr) ersetzt. Lediglich am Jom Kippur (Versöhnungstag) sprach der Hohepriester den Gottesnamen aus, wobei lauter Gesang dies akustisch übertönte. Als im Jahr 70 der Tempel in Jerusalem zerstört wurde, endete diese Praxis, so dass die Aussprache tatsächlich in Vergessenheit geriet und erst im 19. Jahrhundert rekonstruiert wurde. „Missbrauche nicht den Namen JHWHs, deines Gottes", ermahnt das Gebot Ex. 20,7.
Bernardus Dirks Eerdmans ging davon aus, dass der Name auf die zweisiblige Kurzform JH „Ja-hu" zurückging, die Blitz und Donner anrief. Dementsprächent wäre der „Urgott" der Hebräer ein von den Midianitern und Kenitern verehrter Berg- und Wettergott gewesen, der durch das Wort angerufen wurde.
Ganz ähnliche Traditionen besitzt die Ursprache Sanskrit. Auch hier bewirkt die Aussprache des Namens eines jeden Gottes, das Gegenwärtigsein eben dieser Kraft und des Bewusstseins. Name und Gott sind identisch. Die Manifestation der gesamten sicht- und unsichtbaren Welt wird durch die heilige Silbe AUM (OM) bewirkt.
Da Name und Benanntes wesensidentisch sind – in der Sprache der Guarani (Brasilien) bedeutet ňe'ē sowohl „Wort" als auch „Seele" - , ist es in der magischen Tradition Brauch, seinen Namen geheimzuhalten und sich einen „Scheinnamen" zuzulegen, über den böswillige Magier keinen Zugang zur Kraft erhalten. Umgekehrt strebt man danach den „wahren Namen" seines Selbst zu erfahren. Im Hinduismus und Buddhismus erhält man durch eine Initiation seinen spirituellen Namen, der den spirituellen Lebensweg aufdecken und bereiten soll. Aus einer ähnlichen Tradition heraus, erhalten auch christliche Novizen beim Klostereintritt einen neuen Namen. Allerdings wird dieser aus der christlichen Tradition gewählt und nicht neu offenbart. „Man ruft dich mit einem neuen Namen, den der Mund des Herrn für dich bestimmt." (Jesaja 62, 2-4). Der Neue Name kommt damit einer Neugeburt gleich. Ganz ähnlich erhielten früher Könige beim Amtsantritt einen neuen Herrschernamen. Mit der Annahme eines neuen Namens wird die Kraft dieses Wortes auf die Person übertragen.
Nicht nur beim Namen wurde und wird die Kraft des Wortes eingesetzt. Sie ist fester Bestandteil der Wortmagie. Die (laute) Rezitation eines Wortes oder magischen Gesangs, bzw. eines „Zauberspruchs" bewirkt durch seine Wesensidentität die Veränderung einer höheren Wirklichkeit und schließlich auch der physischen Realität. Als besonders mächtig galten sogenannte „Ursprachen" wie Hebräisch oder Sanskrit, später dann auch Latein (obgleich dieses nicht zu den Ursprachen gerechnet wird). Dies ist der Grund, warum die Zaubersprüche bei Harry Potter - „Occolus reparo!" (lat. oculus= Auge, reparo= wiederherstellen; der erste im Film bewusst ausgesprochene funktionierende Zauber) – auf lateinisch sind. Vermutlich leitet sich auch der Waldundwiesenzauber „Hokus Pokus Fidibus" aus der christlichen Liturgie ab. Es soll einer Theorie folgend auf die Verballhornung von „Hoc est enim corpus meum" (Dies ist mein Leib) in der Transsubstantion der Eucharistie hervorgegangen und im 17. Jahrhundert in die Zauberformel „hocus pocus filiocus" gewandelt worden sein.
Das Wort hat Wirkung bis in die unmittelbare Physis hinein. Nach einer internen Studie der Hautklinik am St. Josef-Hospital in Bochum wirkt das Besprechen von Warzen besser als die schulmedizinischen Methoden. Mit "Warze alt. Warze kalt. Warze ab" behandelt der Leiter der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen seine Patienten mit vulgären Warzen an Händen und Füßen. Nach einer Studie an der Universitäts-Hautklinik in Marburg wirkte das Wort v.a. bei Kindern. Bei 90% der Kinder verschwanden Warzen allein aufgrund des gesprochenen Wortes. Das Wort hat auf unsere Emotionen, unser Denken und vor allem auf das Unbewusste eine gewaltige Kraft!
Im Alltag haben Worte eine enorme Macht, die sich aber auch ins Gegenteil wenden kann. Die Deutungshoheit einer Weltsicht wird wesentlich von Worten und Namensneugebungen untermauert. So wurde der Begriff „Islamismus" gezielt in US-amerikanischen Thinktanks kreiert und seit den 1970er Jahren in der Öffentlichkeit vermehrt zum Einsatz gebracht. Mit der festen Verbindung eines – oft neu kreierten – Wortes mit einer bestimmten Weltsicht wird das Denken und schließlich das Handeln gelenkt. In der Politik entstehen Begriffe nicht einfach so. Unabhängig vom politischen Lager werden Begriffe gezielt gewählt und kontinuierlich genutzt, um so eine bestimmte Art des Denkens zu induzieren. „Gutmensch", „Wutbürger", „Frühsexualisierung", „Achse des Bösen", u.a. sind weitere Beispiele der in den letzten Jahren gezielt gestreuten Wortgewalt. Im Falle des Wortes „Asyltourismus" wird offenbar, wie sich das Wort auch gegen den Anwender wenden kann. Nach Nutzung durch z.B. Markus Söder und Horst Seehofer kamen so viele Proteste, dass die Umfragewerte deutlich nach unten gingen und schon nach wenigen Tagen Markus Söder zusagte, das Wort nicht mehr zu nutzen. Unabhängig vom politischen Lager sind politische Schlagworte letztlich Wortmagie, die ein bestimmtest Denken und Handeln induzieren sollen. Dem kann man sich nur schwer entziehen. Mit einem solchen Wort belegt, kommt man automatisch in Handlungszwang. Besitzt man keinen „Gegenzauber", also einen Gegenbegriff, ist man gezwungen, langatmig zu argumentieren. Das Problem: Argumentationen wirken auf der Verstandesebene, „Wortmagie" unterhalb der Verstandesschwelle. Und so werden „Gutmensch" und „Nazi" hin und her geschleudert. Eine bewusste Auseinandersetzung mit der Problematik geschieht auf keiner Seite mehr.
Doch Worte können auch heilend sein. Nana Nauwald schreibt in „Mein Wort ist mächtig": „Das Wort, angewendet in einem geistigen Kontext und aus der Verbindung mit dem geistigen Feld heraus, kann zur Wortmedizin werden, wenn es in eine innere Berührung führt. In vielen Heilkulturen ist es verankertes Wissen, dass die magischen Worte in die Hände fließen und durch deren Bewegungen (Zaubergebärde) sowie Berührung der Hilfesuchenden heilsam wirken." (S. 21).
Worte verletzen, Worte motivieren, Worte unterdrücken, Worte heilen. Mit Worten wird Wirklichkeit erschaffen.
Bild © Stefan Brönnle (Vorlagen: digistore24 freshfoto)
Kommentare
Hebräisch ist phönizisch, althebräisches Alphabet ist mit Ausnahme eines Schriftzeichens identisch mit Phönizisch, und da letzteres älter ist, ist eher dieses eine Ursprache. Eventuell ist Phönizisch mit Sanskrit verwandt, aber wenn man bedenkt, dass Afrika die Wiege der Menschheit ist, müsste eine schwarzafrikanische Sprachgruppe die Ursprache sein. Und gibt anscheinend Hinweise darauf, dass Sanskrit von Telugu abstammt und dass es in Schwarzafrika mit Telugu verwandte Sprachen gibt. - übrigens zeigen neue Forschungen, dass die romanischen Sprachen nicht vom Latein abstammen, siehe Yves Cortez und Carme Jimenez Huerta.