Berufe sind nicht einfach Jobs. Sie enthalten den „Ruf“ - im Mittelalter „vocatio“ genannt“ - die Evokation. Das Berufensein ist ein magischer Akt, ein Ruf der Götter und so sind viele unserer alten Berufe mit der Magie verbunden….
Die Töpferin
Die frühesten Keramikfunde Europas stammen aus dem Jungpaläolitikum, erste Keramikfiguren sind rund 24.000 Jahre alt und die ältesten bekannten Keramikgefäße rund 20.000 Jahre. Sie wurden in China gefunden. Einige Kulturen wurden nach den bei ihnen genutzten und verbreiteten Töpfereiprodukten benannt wie die Bandkeramiker oder die Glockenbecherkultur. Dies zeigt, dass Kulturprozess und Töpferei eng verflochten sind. Diese enge Verflechtung lässt den Töpfer zum Schöpfer werden – ein wahrhaftig magischer Prozess. Nicht umsonst heisst einer der bekanntesten Zauberer der Literatur in seiner Übersetzung „Harald Töpfer“ - Harry Potter.
Töpferkunst und göttliche Weiblichkeit
In ihren Wurzeln ist die Töpferkunst ein urweiblicher Schöpfungsakt. Das Gefäß wird hierbei mit dem weiblichen Schoß, bzw. dem Uterus (Sanskrit adhara) gleichgesetzt. Die im Gefäß aufbewahrte Flüssigkeit findet ihre Entsprechung im Fruchtwasser, die Möglichkeit im Kochprozess aus unverzehrbaren Speisen Nahrung zu erschaffen, die eng mit dem Topf verbunden ist, zeigt die Transmutationskraft des Gefäßes und lässt es ebenso zum Hexenkessel wie zum mythischen Gral werden. Eine alte Vorstellung war, dass ein Teil des Menstruationsblutes im Mutterleib verblieb und zu einem Kind „geronn“. Die mesopotamische Göttin Ninhursag erschuf den ersten Menschen aus Lehm und flößte ihm ihr „Blut des Lebens“ (Menstruationsblut) ein. Ninhursag war auch als Aruru die Große, die Töpferin, bekannt. „Adam“ lässt sich sowohl von der Wortbedeutung „rot“ als auch „Erde“ ableiten. Adamah, die „blutige Erde“ bildet damit die Brücke zum Sanskritwort adhara, was Uterus bedeutet. Der irdene Topf und der Uterus der Göttin waren eins.
Bei den Shipibo-Indianern in Peru gibt es den Mythos um Prinzessin Reshín-mea. Sie gilt als die mythologische Urahnin der Shipibo. Reshín-mea war die erste Töpferin, brachte dem Volk die Töpferei und bestand selbst aus Ton, weshalb ihr Mann sie mit einem Dach beständig vor dem Regen schützen musste. Als er es vergass, zerfloss sie im Regen. Die Shipibo-Frauen geben ihren Töpfen Gesichter und so lebt der Mythos bis heute fort.
Lehm, Ton und Erde auf der einen und das Gefäß auf der anderen Seite sind eins. In vielen Schöpfungsmythen werden die ersten Menschen aus Lehm erschaffen, sozusagen getöpfert. Das irdene Gefäß ist lebensspendendender Uterus auf der einen und Urne auf der anderen Seite. Der Topf ist ein Gefäß der Seele. So sagte Laotse:
„Ton knetend bildet man Gefäße, doch erst ihr Hohlraum, das Nichtphysische, macht sie brauchbar.“
Ton ist die Materie, das Gefäß für die Seele. Bei den Yatmül in Neuguinea gelten irdene Töpfe als die Kinder der Ahnfrau Kolimangge, die den Menschen einst die Töpferei lehrte. Bis heute erhalten die Keramiken bei den Yatmül Namen und aufmodellierte Gesichter. Kolimangge gebar eine Tochter, die die Ahnfrau der Menschheit wurde. Als Kolimangge starb, wurde sie zu Ton. Sie ist die Erde selbst. Dass den getöpferten Gefäßen eine menschenähnliche Form verliehen wird, ist ein weltweites Phänomen. Hippokrates setzte die Formlinge für Gefäße auf einer Töpferscheibe mit dem Menschen gleich. Bei den Amazonasindianern gelten die Töpfe als Schutzräume für die heranreifenden Kinderseelen. Im russischen Märchen Snegurotschka wünscht sich ein Ehepaar sehnsüchtig ein Kind. Im Winter legt der Mann einen Schneeball in einen Topf und vergisst ihn auf der Fensterbank. Im Frühjahr piepst es im Topf und als der Deckel abgehoben wird, liegt darin ein Kind.
Erst später übernehmen auch männliche Götter die Fähigkeit den Menschen aus Lehm zu formen: Der sumerische Gott Enki rettet Inanna, indem er aus dem Lehm unter seinen Fingenägeln kleine Figuren formt, die Nahrung und Wasser in die Unterwelt tragen. Aus Blut und Lehm erschafft Enki die Menschen, um den Göttern zu dienen. Der altägyptische Schöpfergott Chnum formt aus Ton vom Nil das Ei, aus dem das Leben entsteht. Im griechischen Mythos stielt Prometheus das Feuer von den Göttern und erschafft mit dessen Hilfe aus Lehm die ersten Menschen. Auf Zeus Befehl erschuf daraufhin der Schmied Hephaistos aus Lehm Pandora, die - mit der Unheilbüchse ausgestattet - der Menscheit die Sterblichkeit bringt. Jahwe ist also bei weitem nicht der einzige Gott, der den Menschen töpfert. Auch wenn es bei Jesaja (64,7) heisst: „Wir sind Ton, du bist unser Töpfer, und wir alle sind deiner Hände Werk!“
Das magische Töpferhandwerk
Ton galt folglich als lebensspendendes Material und das Erschaffen eines Gefäßes kommt dem Erschaffen des Menschen gleich. Der erste Ton wurde an Flussufern gesammelt. Wie im griechischen Mythos der Styx galten diese als Schwellen in die Andere Wirklichkeit. Flussufer sind Orte, an denen Geister leben. Daher musste man, um Ton zu besorgen, mit den Geistern reden und verhandeln. Schließlich nahm man auch von Mutter Erde ihren ureigensten Körper. Aus dem so errungenen Ton ein (Seelen-)Gefäß zu töpfern, war ein heikler magischer Akt. In vielen Kulturen darf die Töpferin – zu mindest in bestimmten Phasen – keinen Sex haben, sie muss fasten oder spezielle Speisen meiden und sakrale Regeln einhalten. Wenn sie dann das Gefäß formt, befindet sie sich im magischen Schöpfungsakt. In den frühesten Keramiken wurden schlicht durch die Hände magische Symbole in das Gefäß gedrückt: Der Daumennagel-Abdruck ergab das Symbol des Mondes. Dublizierte man diesen mit rechter und linker Hand, entstand die Vulva, die Mandorla; umgekehrt die Doppelaxt (ein späteres kretisches Sakralsymbol) oder der transformative Schmetterling. Auch die gewählte Bemalung war magischer Natur und sollte den nährenden Inhalt des Gefäßes vor Schädlingen schützen, ihm Kraft und Fruchtbarkeit verleihen. So aufgeladen, war der entstandene Topf ein Gefäß voller Magie. Zerbrach man dieses, wurde die Magie plötzlich wieder frei. Man konnte sie auf eine Wunscherfüllung richten: „Scherben bringen Glück!“ Das Zerbrechen des Tongutes war ein Opfergabe-Ritual. In der jüdischen Hochzeit wird die freiwerdende Fruchtbarkeit eines zertretenen Gefäßes zum Segen für das Brautpaar. Im Brauchtum des Polterabends wird dies noch einmal überhöht.
Wie der Müller, waren auch die Töpfer im frühen Mittelalter abseits der Dorfgemeinschaft angesiedelt. In der Nähe der tonreichen Ufer - „bei den Geistern“ - lebend und von der Dorfgemeinschaft abgesondert, stellten sie magische Gefäße her. Töpfer gehörten wie Müller, Schornsteinfeger und Leinenweber zu den unehrlichen Berufen. Noch lange nach der Christianisierung stellten Töpfer tönerne Götterbilder - „Götzen“ - her.
Die Gefäße aber konnten ewige Nahrung produzieren. Im Märchen „Der süße Brei“ produziert der Topf allein auf den Befehl „Töpfchen koch“ so viel Brei, wie man essen kann. Zugleich kann der Topf selbst zum schützenden Gegenstand werden: Nordindische Bauern hängen zum Schutz ihres Getreides vor üblen Mächten einen schwarzen Tontopf ins Feld – ein Symbol für die Göttin Kali.
Die Töpferin ist die Magierin des Lebens und der Fruchtbarkeit. Sie hat Macht über Glück und Unglück und die Fähigkeit der Seele einen Körper zu geben (Golem).
Bild Töpferin © fotolia
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