In Augsburg – nach Trier der zweitältesten Stadt Deutschlands – steht im Zentrum der Stadt die Peterskirche. Obwohl die Kirche dem heiligen Petrus geweiht ist, ist das Ziel der Verehrung der Gläubigen ein Marienbild: Maria Knotenlöserin.
Das Bild, das um 1700 gestiftet wurde, zeigt Maria mit den typischen Attributen der Mondsichel, auf der sie steht und einer Schlange. Ein Engel reicht Maria eine verknotete Schnur, deren Knoten sie löst. Ein anderer Engel nimmt das entknotete Band entgegen.
Das Band, der Faden oder die Schnur ist ein oft auftauchendes Symbol, das in der Regel das Schicksal widerspiegelt. Damit tritt Maria hier in die Reihe der Schicksalsgöttinnen, die – eben meist in Form einer Schnur dem Menschen sein Schicksal zuteilen, oder trennen. Im Germanischen ist dies z.B. die Göttin Frigg. Wie Maria ist auch sie Himmelskönigin. Eine ihrer (meist zeitgenössischen) Darstellungen ist am Spinnrad sitzend. Sie spinnt das Schicksal der Menschen. Nach dem Tode nimmt sie einen Teil der Seelen in ihrem Reich Fensalir auf. Mit Ihrer Spindel spinnt sie, einer Version des Mythos folgend, die Fäden des Schicksals der Menschen, die von den Nornen verwoben werden.
Auch die Nornen stellen in der germanischen Mythologie daher solche Schicksalsweberinnen dar. Sie besitzen ihrerseits wiederum einen Bezug zu den griechischen Moiren und den römischen Parzen (siehe unten). Die Nornen sind die Schicksalsverwalterinnen der Menschen und der Götter. Die eine Norne spinnt den Faden, die zweite teilt ihn zu und die dritte schneidet ihn ab.
Bei den Griechen waren es die Moiren Klotho, Lachesis und Atropos, die als ebensolche Schicksalsweberinnen fungierten. Im griechischen Wort „moirai“ steckt die Bedeutung der „zugelosten Teile“, also des Schicksals. Ihr römisches Pendant sind die Parzen. Auch sie spinnen das Schicksal, messen es ab und teilen es zu und schneiden es schließlich durch. Die Parzen heißen Nona (neunte), Decima (zehnte) und Parca (Geburtshelferin).
Im Hinduismus wird das Prinzip von Brahma (Erschaffen), Vishnu (Erhalten) und Shiva (Auflösen) vertreten. In Ägypten spann Isis den Lebensfaden und bei den Kelten gab es die später christianisierte Bethen-Trinität. Wilbeth vor allem trägt auch weiterhin das Spinnrad mit sich.
Maria Knotenlöserin greift zurück auf diese Mythen. Sie löst das Schicksal, das Karma der Menschen. Gleich wie die Moire Atropos, die Norne Skuld, die Bethe Wilbeth, oder Shiva, löst Maria Knotenlöserin das Schicksal des Menschen auf. Wer sein Karma, sein Schicksal geändert haben mochte, betete zu den Moiren, opferte ihnen. Wer seine Schicksalsknoten gelöst haben will, betet hier am Gnadenbild zur Maria Knotenlöserin. Maria Knotenlöserin tritt uns hier als Schwarze Göttin entgegen, wenngleich es auch nicht zwingend um das Abschneiden des Lebensfadens und damit den Tod geht, so doch um eine Änderung unserer mitgeführten Muster, die ausschließlich durch eine Transformation, einen „inneren Tod“ (und folgende Wiedergeburt), aufgelöst werden können.
Kein Wunder steht die Peterskirche in Augsburg im Zentrum der Stadt, nur in der Wesensmitte (gestalterisch der Mitte der Stadt, symbolisch die Mitte des [Spinn-]Rades) ist diese Überwindung des Schicksals möglich. Der Turm der Peterskirche ist der Perlachtum. Er wird nicht etwa von einem Engel oder einem christliche Kreuz, sondern der antiken Stadtgöttin Cisa bekrönt. „Perlach“ leitet sich ab von „per“, das althochdeutsche Wort für Bär und „lach“, was ein Fest oder Vorführung meint – der Legende nach ein Bärentanzplatz. Doch vermutlich gründet auch dies auf dem Mythos, der in den Zirkumpolarsternbildern Kleiner und Großer Bär wurzelt, die den Polarstern - die Mitte des Himmels – umtanzen.
Wenige Katholiken werden sich bewusst sein, auf welch lange und alte Mythenreihe sie zurückgreifen, wenn sie hier im Zentrum der Stadt auf dem Perlachberg Maria Knotenlöserin darum bitten, Einfluss auf ihr Schicksal zu nehmen….
Bild Maria Knotenlöserin © Stefan Brönnle
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