Ich fuhr von Regensburg Richtung München, vielmehr wollte ich fahren, denn der Zug hatte Verspätung. Das wäre jetzt in Deutschland nicht allzu außergewöhnlich. Auch dass die Verspätung sich rhythmisch auszudehnen schien, passte noch absolut in das gängige Weltbild. Nun ist die Bahn ja durchaus lernfähig. Seit einigen Jahren gibt sie die Gründe für die Verspätung mit an, weil ein weiser Psychologe ihr beigebracht hat, dass Menschen jede Unbill ertragen, wenn sie nur irgendeinen Sinn darin sehen. So wurde etwa die ersten 20 Minuten, sich rhythmisch wiederholend, der Grund für die Verspätung ausgerufen: „Grund dafür ist die Verspätung eines vorausfahrenden Zuges“.
Dann aber geschah der erste Wirklichkeitsswitch: Nach etwa 20 Minuten Verspätung änderte sich plötzlich der Grund für die Verspätung: „Grund dafür ist die verspätete Bereitstellung“. Etwas hatte sich ganz offensichtlich in unserer Realität verändert. Waren wir auf eine parallele Zeitschiene geraten?
Nun, irgendwann, traf der Zug tatsächlich ein und wir konnten einsteigen. Der umsichtige Schaffner, Verzeihung, heute spricht man von „Zugbegleiter“ (so als würde er zufällig die Wagons durchlaufen oder sei gar neben dem Zug herlaufend eingesammelt worden), beeilte sich, sich für die Verspätung zu entschuldigen und natürlich gab auch er den Grund dafür an: Der aus Prag kommende Zug sei an der Grenze aufgehalten worden, weil die Grenzpolizei ausführliche Kontrollen durchgeführt hätte. Wow! Schon wieder hatte sich unsere Wirklichkeit verändert!
Konnte es vielleicht sein, dass sogar ALLE angegebenen Gründe stimmten? Hatte die verspätete Bereitstellung des Zuges den Argwohn der Grenzer heraufbeschworen und so akausal den vorausfahrenden Zug in Verzug gebracht? Eines war klar: Es gibt nicht nur eine Wirklichkeit, in der wir uns befinden, es gibt dutzende und die meisten existieren sogar parallel!
Kaum war mir diese Erkenntnis durch das Vorleben der Deutschen Bahn bewusst geworden, erkannte ich auch schon, dass ich damit unbedingt ins Schwarze getroffen hatte, denn während die Verspätung des Zuges an der Anzeigetafel des Bahnsteigs mit „25 Minuten“ angegeben worden war, verkündete der weise Zugbegleiter wie die Stimme Gottes aus den Lautsprechern, dass der Zug aktuell eine Verspätung von 35 Minuten habe – und wer würde Gott widersprechen? Leise Zweifel kamen mir dann aber doch, als ich auf meine eigene Uhr blickte und erkannte, dass in MEINER Wirklichkeitsblase, die mich umgab, der Zug offenbar bereits 43 Minuten Verspätung hatte.
Meine Erkenntnis: Wir leben in einer multiplen Wirklichkeit, vielleicht sogar in einer fluktuierenden, oder wir sind befähigt in Augenblicken tiefer Verbundenheit mit uns selbst die Zeitlinien zu wechseln. Und dies sogar mehrmals in 43 Minuten!
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