Nur leider schert sich unsere Wahrnehmung nicht um solche rationalen Erwägungen. „Die Seele denkt nie ohne ein Bild“ schrieb Aristoteles. Unsere Wahrnehmung ist bildhaft, konvergierend. So können in Träumen Charaktere der unterschiedlichsten Mythologien miteinander interagieren. In der Wahrnehmung, zumal in der erweiterten Wahrnehmung, fügt unser Bewusstsein (oder Überbewusstsein) Formen zusammen, die es als gleichartig empfindet. So ist dies auch in der Wahrnehmung, die dem gewählten Bild zugrunde liegt:
Cernunnos stammt aus der keltischen Mythologie. Sein Name wird meist als „der Gehörnte“ gedeutet, weil er ein Hirschgeweih auf dem Kopf trägt. Eine Felszeichnung aus dem Val Camonica (Italien) zeigt eine solche Gestalt mit Hirschgeweih, die mit erhobenen Armen abgebildet ist, während eine gehörnte Schlange aus dem Boden emporsteigt. Auch sie wird als ein Cernunnos gedeutet. Cernunnos hat damit resonierende Anklänge in den mythischen Gestalten des Pan, ebenso wie des blätterbedeckten „Wilden Mannes“. Er ist eine Art Naturgottheit, die über das Geweih – wie Antennen – mit dem Geistraum verbunden ist, während die oft mit ihm verbundene Schlange das chthonische Element ausdrückt. Insofern ist Cernunnos auch eine Art axis mundi (Weltenachse).
Die Rune Algiz aus dem germanischen Kulturkreis zeigt eine senkrechte Linie, die von zwei nach oben ragenden schrägen Linien ergänzt wird. „Alg“ ist das altnordische Wort für „Elch“. Im altenglischen Runengedicht wird die Rune „Eohl“ genannt und als Bild dient das Schilf. Auch hier werden synkretistisch zwei Bilder verbunden, die kausal eigentlich nichts miteinander zu tun haben: Der Elch, ein Tier und das Schilf, eine Pflanze. In der Analogiesprache unseres Bewusstseins aber wurzeln beide tief in der Erde/Natur, verbinden sich aber mit dem Himmel, dem Geistraum. Im eher südgermanischen Raum, wo Elche seltener anzutreffen waren, wird Algiz mit dem Hirsch verglichen. Wir sehen also: Die Bilder wechseln, die analoge Wertigkeit aber bleibt erhalten.
So kann auch die empfundene Gleichartigkeit von Algiz, der germanischen Elch-Schilf-Hirsch-Rune, mit Cernunnos, dem keltischen Gott mit dem Hirschgeweih in der Wahrnehmung resonieren. Beides sind Symbole, die stark mit der Natur, mit der Erde (synkretistisch ausgedrückt mit Gaia), verbunden sind. Die analoge Wertigkeit beider Bilder ist ähnlich und kann so von unserem erweiterten Bewusstsein erfasst und soweit bekannt zusammengefügt werden.
Wahrnehmung ist nicht rational, Wahrnehmung ist emotional, bildhaft, konvergierend. Insofern sollte man auch nicht so sehr suf den Wortlaut, auf die „Buchstäblichkeit“, seiner Wahrnehmung achten, sondern auf die emfundene Ähnlichkeit.
Wahrnehmung ist eben synkretistisch.
5.-9.6.2024 Grenzenlose Sinne - Wahrnehmungsintensivtraining
Bild © Stefan Brönnle (Vorlage Cernunnos: Zvereva Yana/shutterstock, Vorlage Runen: MysticaLink/shutterstock, Vorlage Wald quickshooting/fotolia)
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