Das erste Bedürfnis des Menschen in der Welt war das nach Orientierung. Orientierung aber – so der Religionswissenschaftler Mircea Eliade – »setzt einen festen Punkt voraus«. Deshalb war der religiöse Mensch bemüht, sich im ›Zentrum der Welt‹ einzurichten«. Und so schuf der Mensch den »Nabel der Welt«, den »Omphalos«. Wie wichtig das Bedürfnis nach einer Mitte ist, zeigen schon die Wortstämme der Wörter »Meditation« und »Medizin«. Ohne Mitte keine Heilung, keine Welt, ohne Mitte herrscht Chaos.
Diese Funktion der heiligen Mitte ist auch im Schamanismus sehr bekannt. Von dort, wo wir sind, spannt sich die Welt in alle Richtungen auf und gleichzeitig konzentrieren sich in der Mitte alle Dinge der Welt. Damit ist die Mitte immer ein Abbild des Makrokosmos, das uns mit allem, was es gibt, verbinden kann.
Bei schamanischen Zeremonien ist der Altar diese Mitte. Auf dem Altar werden traditionell die 4 Himmelsrichtungen mit den 4 großen Geistern angerufen. Sie verkörpern das Lebensrad mit den Prinzipien Geburt- Lebensausdruck und Fülle- Tod- Jenseitsreise und Geistbewusstsein-.In der Mitte wird eine Achse aufgebaut, Symbol des Weltenbaumes, der die 3 Welten verbindet. Dieser Altar eröffnet immer wieder die Verbindung mit den großen Kräften, aus denen die Schöpfung betsteht, es entsteht ein heiliger Raum. In dieser heiligen Sphäre zu arbeiten, ist berührend. Es entsteht ein Feld, eine Sphäre, die sich ganz anders anfühlt, als ein Raum, ein Ort oder eine Gegend ohne diese Verbindung. Es besteht mehr Ruhe, Kontiniuität und Kraft in dieser Sphäre, der menschliche Geist scheint getragener zu sein. Er kann schneller mit dem inneren Wissen in Kontakt kommen und dieses leichter wahrnehmen. Er kommt in seiner eigenen Mitte an. Erst durch dieses Zentrum können wir andere Wirklichkeitsebenen bereisen und unser schamanisches Bewusstsein voll entfalten.
Eine heilige Mitte kann einen Ort oder ein Haus stabilisieren, ihm seine ursprüngliche Kraft wieder zurück bringen. Eine in unseren Gegenden traditionelle „Mitte" ist der Maibaum. Er ist der Baum, der Erde und Himmel verbindet. An seinem Stamm ist ein Kranz (manchmal auch 3 Kränze für die 3 Welten!), dieser symbolisiert den Horizont mit den Jahreszeiten und den 4 Himmelsrichtungen: Ein uraltes Symbol für das Rad des Lebens. Er wird in der Mitte einer Stadt oder eines Dorfes errichtet. Er verbindet die Stadt mit dem Makrokosmos. Ein Ritual, ein Rudiment des Alteuropäischen Schamanismus oder doch ein Archetyp der Menschheit und universell erfahrbar? Rituale dieser Form finden sich in allen Kulturen auf allen 5 Kontinente und zeigen, das es zu den Erfahrungsschätzen der Menschheit gehört. Ein Schatz, der in den Zeiten der Digitalisierung in Vergessenheit gerät, so wie die Kraft der eigenen Mitte im Menschen auch. Höchste Zeit, sie uns zurück zu holen!
Die Große Mitte – Zentrum der Kraft
INITIATIONSSCHULUNG – Die schamanisch-geomantische Ausbildung
Text: Sibylle Krähenbühl
Bild © PiLensPhoto /adobestock
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