Die Kraft des Segens findet sich in der einen oder anderen Version in jeder Kultur. Sehr unterschiedlich ist die soziale „Erlaubnis", wer Segen spenden darf und wer nicht. Nichtsdestotrotz wird die grundsätzliche Fähigkeit, Segen zu spenden, jedem Menschen zugesprochen.
Aber der Reihe nach. Das deutsche Wort „Segen" leitet sich ab von althochdeutschen segan oder segin, was seinerseits aus dem Lateinischen entlehnt ist und vom Wort signum für „Zeichen" abgeleitet wurde. Der Segen ist in diesem Wortsinne eine symbolische Geste, die zu einer Brücke wird, über die „göttliche Kraft" oder „Gnade" auf eine Person oder ein Objekt übertragen wird. Im erweiterten Sinne kann der Segen aber auch z.B. durch ein Wort übertragen werden. Das lateinische Wort benedictio für Segen meint bene ( = „gut") und dicere („sagen"), also so viel wie „gut sprechen". Der Segen wird als eine Kraft verstanden, die von einer Quelle ausgehend – im christlichen Verständnis „Gott" - über die Segenshandlung übertragen wird und positive Wirkung hat: Fruchtbarkeit, Wohlstand, Gesundheit usw.
Da der Segen als Kraft sozusagen aus einer Urquelle kommt, ist zwar prinzipiell jeder Mensch befähigt, die Segenskraft zu übertragen, aber es ist ihm nicht zwangsläufig erlaubt, dies zu tun. Schon im christlichen Verständnis gibt es hier je nach Konfession starke Unterschiede: Im Mittelalter war es unter dem Einfluss der katholischen Kirche dem Laien verboten, Segen zu spenden. Dies war als Sakrament ausschließlich dem geweihten Priester vorbehalten. Noch im 17. Jahrhundert gab es in Würtemberg Gesetze gegen „Medikaster und Segensprecher, Zauberer, Wahrsager und Teufelsbeschwörer" mit denen man darauf abzielte, dass das „hochverpoente und verdammliche Laster des Segensprechens ganz ausgerottet werde".
Die protestantische Kirche sieht dies anders. Der Pfarrer bittet Gott um Segen, oft über die einfache Formel „Gott segne Dich". Es gleicht einem Gebet, einer Bitte, die allen Menschen zugänglich ist. Man beruft sich dabei auf die Schöpfungsgeschichte, bei der durch das hebräische Wort barach (hebr.: ברך), der Segen Gottes sozusagen am Anfang der Schöpfung steht: „Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und vermehrt euch und bevölkert das Wasser im Meer und die Vögel sollen sich auf dem Land vermehren" (Gen 1,22). Der Segen wohnt damit aller Natur inne. (Streng genommen wurden alle lebenden Wesen zu „Segensobjekten" gemacht).
Im hinduistischen Segensritus des Feuergebets gilt die innewohnende Kraft des Feuers als Segensquelle. Indem die Hände über eine Flamme gehalten werden, kann die Segenskraft übertragen werden. Asche aus dem Feuer, mit rotem Pulver vermischt, wird als „Segenspunkt" auf die Stirn gemalt.
Im Schamanismus sind die Quelle der Segenskraft oft die Ahnen, oder allgemeiner die Spirits, die Geister. Auch hier kann die Kraft durch Gesten, Worte und Handlungen in diversen schamanischen Segensritualen, die letztlich auch dem christlichen Segen gar nicht unähnlich sind, übertragen werden.
Wir können die Segenskraft metaphorisch also durchaus wie eine Kraft – wie z.B. der Elektrizität – verstehen. Sie lässt sich aus einer Urquelle ableiten, weiterführen, übertragen und sogar in Objekten speichern. Hier bildet der Segen den Übergang zur Weihung, die ohne die Segenskraft nicht zu verstehen wäre. Die Segenskraft wird sozusagen in ein Kraftobjekt hineingelenkt und dort – mehr oder minder dauerhaft - verankert. Von nun an ist das Kraftobjekt selbst – wie eine Batterie - die Brücke für die Segenskräfte. Eine Berührungsreliquie z.B. ist sogar befähigt, andere Objekte (meist gleichen Typus) mit der Segenskraft zu „infizieren". Die Segenskraft ist hier gleichsam viral. Die Kunst der Erstellung von Segensobjekten ist damit fundamentaler Bestandteil sprituell-religöser Rituale, unabhängig von Kultur und Religion. Egal, ob die Segenskraft ins Wasser übertragen (Weihwasser), in Ritualgegenstände überführt (Feder, Trommel,...), oder z.B. in Lebensmitteln verankert und anschließend aufgenommen wird (Hostie), ein Objekt dient als dauerhaftes oder temporäres Speichermedium der Kraft, insofern diese nicht unmittelbar an Menschen, Tiere und Pflanzen übertragen wird (Fruchtbarkeitssegen, Erntesegen, Heilungssegen, usw.). Im letzteren Falle ist es der segensspendende Mensch, der vorübergehend die Kraft in sich aufnimmt.
Die Frage ist dabei lediglich, wie gut ist der ausübende Mensch befähigt, die Kraftquelle zu kontaktieren und besitzt er ausreichend methodisches Wissen, die Segenskraft nicht nur durch sich hindurch zu leiten, sondern auch dauerhaft in Objekten zu verankern? Menschen, die dies außergewöhnlich gut können, werden dann wiederum teilweise als Heilige verehrt.
Durch die Aufnahme der Segenskraft, die allgemein förderlich, oder sehr speziell ausgerichtet sein kann, um z.B. die spirituelle Entwicklung zu fördern, Wahrnehmungskanäle zu öffnen, zu initiieren, oder Heilungsimpulse zu fördern usw., verwandelt sich das gewählte Objekt in einen Kraftträger. Symbolisch gesehen, wird es dadurch sozusagen aus dem Profanraum herausgenommen. Dies ist der Grund (und nicht etwa eine notwendige Funktionalität), warum die Kraftobjekte oft liebevoll und aufwändig geschmückt werden. Kostbare Edelsteine z.B. können zwar bestehende innewohnende Kräfte lenken, sind aber – insofern sie nicht selbst zu einem Segensobjekt transformiert wurden - ansonsten eher Schmuck, um die Außergewöhnlichkeit des Kraftobjektes zu betonen und es damit deutlich als aus dem profanen Alltagsgebrauch entfernt darzustellen.
Kraft- und Segensobjekte haben so in allen Kulturen ihre feste Stellung, da sie als dauerhafte Brücken zur Segensquelle wahrgenommen werden, als offene Portale, durch die letztlich die Urkraft des Lebens selbst in unsere Realität hineinströmt.
1.-3.3.2019 Spezialseminar Schoepferische Kraft- und Segensobjekte
Bild Schamane in Malaysia spendet Segen © Willy Sebastian /shutterstock.com
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