Die Vierheit ist ein archetypisches Symbol, das tief mit unserer kollektiven Wahrnehmung verbunden ist und so in der Raum- und Zeitaufteilung für uns allgegenwärtig wurde.
Wir erleben in unseren Breiten vier Jahreszeiten: Die beginnende Wärme des Jahres, die heiße Zeit, die Zeit der Abkühlung und die Zeit der Kälte. Aufs innigste sind die klimatischen Phasen natürlich mit der Landwirtschaft verbunden: Dem Sähen, der Reife, der Ernte und der Ruhe. Sie beziehen sich in unserer Wahrnehmung auf die Sonne. Vier Jahreszeiten bringt die Sonne hervor: Frühling, Sommer, Herbst und Winter und trägt durch die Säh- und Ernterhythmen zu unserer Ernährung bei.
In der nächsten philosophischen Abstraktionsstufe werden daraus die vier Elemente, die vier Urkräfte unserer Existenz: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Aus ihnen besteht unser Leben.
Auch der Raum teilt sich durch den Sonnenlauf in 4 Hauptrichtungen. Der Sonnenauf- und -untergang erzeugt in unserer Wahrnehmung die Polarität von Ost und West, von Geburt und Tod. Diesen „Dämmerungskräften" gesellen sich der Sonnenhöchststand zur Mittagszeit im Süden und die unsichtbare Sonne im Norden als starke Polaritäten bei. Vier Richtungen, vier Kräfte, vier Urgewalten oder Elemente, die das Leben tragen.
In diesem wunderbaren Bild wurde all dies in einem tiefreichenden Symbol umgesetzt. Es stammt von einem iroschottischen Hochkreuz des ehemaligen Klosters Monasterboice in Irland. Wir erkennen 4 verschlungene Schlangen. Die Schlange ist seit alters her ein Symbol der Urkraft und des Bewusstseins der Erde. Die vier verschlungenen und verwobenen Schlangen verweisen darauf, dass die vier Urkräfte unseres Lebens – dargestellt auch als vier Kugeln oder vier „Welten" (Sphären) – im Grunde eine einzige sind: Die Quinta Essentia, das fünfte Element.
Die vier Schlangen bilden ein Rad, das die ewige Wandlung dieser Kräfte veranschaulicht. Durch die Krümmungen ihrer „Hälse" verweisen die 4 Schlangen auf das Symbol der Swastika, des Sonnenrades. Die 4 Urkräfte oder Elemente sind in der Zeitaufteilung des Jahres ebenso wie in der Raumaufteilung der Himmelsrichtungen untrennbar mit der Sonne verbunden.
Das kleine und doch bedeutsame Detail des Hochkreuzes veranschaulicht, dass das iroschottische Christentum noch eng mit den Kräften der Natur verbunden war. Oberflächliche theologische Symboldeutungen wie „die Schlange ist ein Symbol des Bösen" sind bei der Deutung dieses Symbols der verwobenen Schlangen m.E. unweigerlich zum Scheitern verurteilt, denn die Symbolik wurzelt tief in der kollektiven Erfahrung von Raum und Zeit. Erst wenn man diese zugrundelegt, kann man Christus philosophisch-theologisch als Körper gewordenene Quinta Essentia ausdeuten. Und so zeigt sich das Schlangensymbol der Vierheit auf dem Hochkreuz auch unmittelbar zu seinen Füßen. Auf der Vierheit der Urkräfte, auf den vier Elementen, die bereits vorchristlich erfahren und geehrt wurden, fußt die Kraft des Christentums. So ist die Darstellung auch ein Bekenntnis der frühen keltischen Christen zur Naturverbundenheit ihrer Ahnen. Die „neue Religion" kann nicht ohne die lebensspendende Urkraft gedacht werden. Urkraft und Bewusstsein der Erde und die Fortentwicklung im Sonnenheros Christus werden als spirituelle Fortentwicklungen gedacht.
Die Vierheit ist die Wurzel der späteren geistigen Höhenflüge. Am Anfang stand die Urerfahrung...
Bilder © Stefan Brönnle
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