Da sich unsere Kultur von der Ahnenverehrung ebenso entfernt hat wie überhaupt von der Wahrnehmung der Präsenz der Ahnen, diese aber in bestimmten geomantischen Betrachtungen und schamanischen Weltsichten von großer Wichtigkeit sind, sollen hier die durchaus unterschiedlichen Vorstellungen, was denn die Ahnen ausmacht und welche diversen Definitionen in diesem kleinen Wort zusammengefasst werden, in Kürze beleuchtet werden.
Wenn in unserer – inzwischen sehr christlich geprägten – Kultur das Wort „Ahnen" gehört oder gelesen wird, interpretieren viele Leser dies als die ihnen persönlich bekannten verstorbenen Verwandten. Da hier auch im zwischenmenschlichen Bereich viele ungelöste psychische und soziale Probleme bestehen, wendet sich mancheiner schon beim Wort „Ahne" mit Grauen ab, weil er froh ist, mit der Großmutter, dem Großvater, dem Onkel o.ä. durch dessen Tod von der Bürde befreit zu sein, sich mit diesem Individuum auseinandersetzen zu müssen. Warum also sollte man durch Ahnenarbeit die Wunde aufreißen oder gar die ungeliebte Verbindung wieder aktivieren? Andere wiederum fühlen sich erinnert an z.B. den Nationalsozialismus, der in der Ehrung der Ahnen das politische Konzept der völkischen Reinheit vertrat und bei dem die Ahnen quasi die Legitimation der Aneignung eines bestimmten Landschaftsgebietes darstellten. Obgleich beide Betrachtungen sicherlich Teile des Themenfeldes Ahnen ausmachen, wäre es falsch z.B. die rituelle Ahnenarbeit auf eine dieser beiden Sichtweisen zu reduzieren. Wer oder was also sind „die Ahnen" und mit welchen Kräften arbeitet die geomantische oder schamanische Ahnenarbeit?
1. Der Begriff
Der Begriff „Ahn" oder „Ahne" stammt aus dem Althochdeutschen des 9. Jahrhunderts - „ano" . Das mittelhochdeutsche āne meint zunächst „Vorfahr, Großvater, Urgroßvater" und kommt als solches im germanischen Sprachbereich nur im Deutschen vor. Allerdings existieren auch im nichtgermanischen Sprachbereich ähnliche Worte wie z.B. das griechische ἀννίς (annis), was „Großmutter" meint. Auch das lateinische „anna" (Pflegemutter), das wiederum mit dem deutschen „Amme" verwandt ist, ist mit dem deutschen „Ahne" verbunden. Letztlich beruht unser Wort „Ahne" daher auf der indogermanischen Urform an, das sowohl die Urmutter meint, als auch allgemein ältere Menschen. Der Ahne ist ist also unsere mütterliche und väterliche Urwurzel.
2. Die persönlich bekannten Ahnen (Ahnen 1. Ordnung)
Die häufigste Assoziation beim Begriff des Ahnen ist sicherlich die des verstorbenen Verwandten. Diesem „Ahnenfeld" wendet sich u.a. auch Bert Hellinger in seiner systemischen Aufstellungsarbeit zu. Hier werden die Auswirkungen unserer persönlichen Beziehungen zu einzelnen Personen, oder auch quasi „vererbte" psychische Muster durch die seelische Übernahme eines persönlichen Themas oder Problems eines verstorbenen genetischen Verwandten bearbeitet. Interessanterweise wurde die zugrundeliegende Methodik nicht von Hellinger erfunden, sondern aus schamanischen Techniken adaptiert. Bert Hellinger beobachtete während seiner Aufenthalte beim Stamm der Zulus in Afrika deren Art, familiäre Probleme zu lösen. Er brachte diesen Ansatz nach Europa und begründete eine komplett neue Sicht auf Familienmuster und Heilung. Die Teilnehmer verkörpern während einer Aufstellung Familienmitglieder und Konstellationen, über die sie nichts wissen. Mit dem Hineingeführt werden in die Position überkommen sie Gefühle und Charaktermerkmale, die nicht von ihnen stammen. Schamanisch gesprochen, haben sie Platz für den anderen Menschen gemacht, einen Ahnen (des Aufstellers) inkorporiert.
In der Tat liegen bei der persönlich bekannten Blutlinie oft auch die größten Vorbehalte und Probleme. Dennoch ist es unzweifelhaft wichtig, die seelischen Vernetzungen und Verletzungen zu heilen, bilden sie doch oft eine wesentliche Blockade, um überhaupt mit den Ahnen 2. und 3. Ordnung in Kontakt treten zu können. Allein die Angst, über die Ahnenarbeit wieder mit einem ungeliebten verstorbenen Verwandten in Kontakt treten zu „müssen", kann die persönliche Beziehung zur Kraft der Ahnenlinie trüben bis unmöglich machen. Daher ist diese Ahnenarbeit – die natürlich auch durch andere Methodiken wie z.B. die Schamanische Reise in die Ahnenwelt geheilt werden kann – zwar nicht unabdingbare Voraussetzung, aber dennoch in einigen Fällen eine anzuratende persönliche Vorarbeit. Durch die Heilung eines Beziehungsthemas erschließen wir quasi in uns die seelische Bereitschaft mit der Kraft der Ahnen (2. und 3. Ordnung) in Kontakt und Austausch treten zu wollen.
3. Die unbekannte Blutlinie (Ahnen 2. Ordnung)
Auch mit entfernteren Verwandten verbindet uns ein inneres Band. Da diese – Generationen zurückliegend – sehr, sehr viele sind, müssen wir sogar von einem Netzwerk, oder den Wurzeln eines familiären Lebensbaumes sprechen. Es wäre fatal wegen einer ge- oder zerstörten Beziehung zu einem einzelnen Individuum den gesamten Wurzelstock zu kappen. Wie innig sich noch bis vor ca. 4000 Jahren die Bewohner unseres Landes, von denen sicher auch etliche mit uns genetisch verwandt waren, mit ihren Ahnen 2. Ordnung verbunden fühlten und wie sehr dies unser Brauchtum beeinflusst hat, kann auch im Beitrag „Auf den Gräbern unserer Ahnen" nachgelesen werden. Der Ahne der Blutlinie wurde hier unter der Herdstatt bestattet und somit gar zum Schutzgeist des Hauses und seiner Bewohner. Unmittelbaren Bezug darauf nimmt auch der glücksbringende Schornsteinfeger (siehe „Magische Berufe"), dessen Aufgabe es letztlich war, den Kanal zwischen der Unteren Welt und der Oberen Welt im Hause offen zu halten.
Leider verband der Nationalsozialismus in Deutschland den Respekt vor dieser enormen seelischen Kraft der persönlichen Ahnen mit der Idee der genetischen Reinheit einer Volksgruppe, was ebenso biologisch absurd und unhaltbar wie geistig-seelisch fatal ist. Keine Seelengruppe inkarniert sich ausschließlich in einer Rasse oder einem Volksstamm, vielmehr bildet sich hier ein enormes Erfahrungsnetzwerk seelischer Verbindungen, die im Grunde die ganze Erde erfasst. Auf diese Weise verbindet sich vor allem die entferntere Blutlinie der persönlichen Ahnen (2. Ordnung) mit den Ahnen der Orte, Landschaftsräume und Regionen (3. Ordnung) und erschließt diese Kraft für uns.
4. Die Ahnen der Landschaft (3. Ordnung)
Die letzte Gruppe schließlich beinhaltet Menschen, die zwar mit unserer genetischen Linie verbunden sein können, aber nicht müssen. Es sind jene Menschen, die oft über Generationen mit einem Ort oder Landschaftsraum innigst verbunden waren. Gerade in der geomantischen Arbeit an alten kultischen Stätten begegnet uns dieses Ahnenfeld, als einzelne Wesen oder auch als ein kollektiver Geist dieser Gruppe. Alle Ahnen dieser Art verbindet oft eine liebevolle Hingabe an den von ihnen besiedelten Raum. Dabei geht es wiederum nicht wie im Nationalsozialismus propagiert um ein angestammtes Erbrecht auf einen Landschaftsraum, oder gar um eine Verbindung einer bestimmten Rasse mit der Landschaft, vielmehr ist die Verbindung eine Wahlverwandtschaft, eine Seelenbeziehung aller mit dem Landschaftsraum liebend verbundenen Menschen. Diese Beziehung ist in unserer Kultur oft unverständlich, da wir großenteils von der Erde abgekoppelt leben. Wir ernähren uns mit importierter Nahrung, trinken Wasser aus Flaschen, die in Frankreich, Afrika oder gar den Fiji-Inseln abgefüllt wurden und wechseln oft mehrmals im Leben weiträumig den Lebensort. Darum fällt es uns schwer zu verstehen, dass Landschaften für die „Ahnen 3. Ordnung" zu mythischen Räumen werden konnten, die sinnbildlich für das ganze Leben und den Jahreszeitenzyklus standen. C.G. Jung stellte bei tiefenpsychologischen Analysen junger Amerikaner fest, dass oft Archetypen auftauchten, die indianischen Ursprungs zu sein schienen, obwohl keine oder kaum genetische Vermischung vorlag. So deutete Jung das Land selbst als Träger der Seelenarchetypen. Auch australische Aborigines glauben, man könnte sich letztlich kein „fremdes Land" aneignen, da sich über kurz oder lang die Seelen der Ahnen erneut hier inkarnieren würden. Die Ahnen dritter Ordnung sind daher alles andere als genetisch Verwandte. Sie bezeichnen eine Seelenbeziehung. Gerade aber beim Begriff der Heimat, jener Landschaften, die uns „rufen", wo wir uns schlagartig heimisch fühlen, oder umgekehrt, bei dem Unvermögen sich trotz Jahre des Wohnens an einem Ort heimisch zu fühlen, ist die rituelle Arbeit mit den Ahnen des Landes von unschätzbarem Wert. Oft sind verlorene Seelenanteile intensiv mit einer solchen Gruppe verbunden.
Manche Orte erschließen sich zudem oft erst, wenn man sich den Ahnen dieses Landes als respektvoll und würdig erweist. Sie wurden gleichsam zu Hütern des Ortes und des Landschaftsraumes. Viele Male sind mir die Ahnen eines Ortes in Tranceerfahrungen und ritueller Arbeit begegnet und oft genug war es der innere Kontakt eines eigenen Seelenanteils zu ebendieser Ahnengruppe oder aber schlicht die aktive Ahnenlinie (2. Ordnung), über die eine Kommunikation mit den Ahnen des Landes stattfinden konnte.
Der Begriff der Ahnen ist daher viel umfassender, als es der auf unser einzelnes individuelles Leben ausgerichteten modernen Psychologie erscheinen mag. Die Kraft der Ahnenlinie erfasst alle drei Bereiche des Ahnenfeldes und wird so zu einem machtvollen Bindeglied zwischen Mensch und Erde. Insofern gehen der Verlust der Ahnenkräfte in der modernen Gesellschaft und die – vor allem geistig-seelische - Abkopplung von der Erde unserer Kultur Hand in Hand. Eine integrale Geokultur bedarf der Auseinandersetzung mit der Kraft der Ahnen, da ansonsten das Individdum Mensch isoliert und auf sich selbst bezogen bleibt wie ein Apfel, der ohne Verbindung zu Ast, Stamm und Wurzel frei in der Luft zu hängen scheint. Freilich währt dies nur kurz bis er zu Boden fällt und dadurch Schaden nimmt.
Tipp: Die Kraft der Ahnenlinie aktivieren.
Haupt-Bild © Stefan Brönnle
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