Im Kloster Paleokastritsa auf der Insel Korfu wird eine Marienikone verehrt, auf der die Gottesmutter nicht – wie häufig bei uns üblich – in blauem, sondern in rotem Gewand verehrt wird. Die Symbolik der Farbe Rot rückt die fruchtbare – zur Geburt einer Gottheit fähige – Kraft der Madonna ins Zentrum. Obgleich es durchaus auch Beispiele für katholische Bilder gibt, auf denen Maria mit rotem Mantel dargestellt wird, wie z.B. die „Lucca-Madonna“ von Jan van Eyck , ist doch die Darstellung Marias mit roter Umhüllung in den orthodoxen Kirchen weitaus häufiger. Rot ist in der christlichen Farbsymbolik die Farbe des Blutes, des Feuers und des Heiligen Geistes. Damit nimmt in der Ikonendarstellung Maria eindeutig die Gestalt der Gottesgebärerin an, sie ist die christliche Version der Roten Göttin, der Göttin der Fruchtbarkeit und der Lebenskraft.
Analog dazu besitzt die Kirche des Klosters Paleokastritsa eine große Erdentiefe, obgleich hoch auf einem Berg gelegen. Der Klostername bedeutet Alter Burgplatz und bezieht sich auf die in Sichtweite gelegene Burg Angelokastro, der „Engelsburg“. Himmelshöhe und Erdentiefe liegen sich somit hier in Paleokastritsa gegenüber. Die große Erdentiefe findet in der Ikone ihre Entsprechung: Maria berührt mit ihrer linken Hand das Knie des Christuskindes. „Knie“ heisst auf Lateinisch „genu“ und ist rückführbar auf die indogermanische Wurzel „*ǵenu-“. Dieselbe Wurzel lässt sich bereits in den hethischen Formen „genu- und ganu-“ nachweisen, die sowohl „Knie“ als auch „Geschlecht“ bedeuten. Das Knie ist daher ein kryptischer Hinweis auf das Geschlecht – also sowohl auf die Fruchtbarkeit des Geschlechtsteils, als auch die Ahnen, die ja auch im Deutschen noch mit „dem Geschlecht derer….“ benannt werden. Die Ikone der Roten Madonna ist – wie alle Ikonen – ein Portal, eine Brücke zur unmittelbaren göttlichen Kraft. Hier in Paleokastritsa öffnet die Ikone ein Tor zur fruchtbaren Kraft der Erde selbst, ihren Geist- und Ahnenräumen.
Interessanterweise hat die grichisch-orthodoxe Kirche die päbstliche Bulle Ineffabilis Deus von 1854 über die Unbefleckte Empfängnis Marias nie formell anerkannt, obwohl auch hier Maria als Jungfrau gilt. Maria steht daher der Erdenkraft in den orthodoxen Kirchen deutlich näher, was sich in ihrer häufigen Darstellung im roten Gewandt ausdrückt.
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