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Die Heiligkeit des Weges

11. Juni 2017 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Geomantie, Rituale, Landschaft | 0 Kommentare

Buddhistischer Mönch durchschreitet ein Tor auf einem alten Pfad

Für den Pilger ist der Weg zum Heiligtum, der mit Beten, Singen und Fasten begangen wird, mindestens ebenso wichtig wie der heilige Ort selbst. Er hat die Aufgabe, den Gläubigen auf die Begegnung mit dem Numinosen vorzubereiten, ihn innerlich einzustimmen. Der Prophet Jeremias spricht: »Richte dir Wegzeichen auf, setze dir Steinmale und richte deinen Sinn auf die Straße, auf der du gezogen bist« (Jer. 31,21).

Im Taoismus wird das Wort für Weg gar für das Numinose selbst verwendet. »Tao« (Dao) bedeutet Weg, sein Schriftzeichen setzt sich zusammen aus den Schriftzeichen für Kopf und Fuß. Man könnte es also als »bewusstes Gehen« übersetzen. Im Zen-Buddhismus heißt es: »Der Weg ist das Ziel!«

Aus dieser Bedeutung für »Weg« heraus wird verständlich, dass auch der sichtbare, materielle Weg heilig wurde. Die »Königsstraßen« Englands waren geheiligter Boden, auf dem wie in der Kirche jedermann vor Verhaftung sicher war. In Wales standen die heiligen Pfade unter dem Schutz der Göttin des Sonnenunterganges, Elen. Wegen des sakralen Charakters der Straßen wurde Straßenräuberei als Sakrileg betrachtet.

Die heilige Prozessionsstraße Babyloniens führte vom Tor der Ishtar zum hohen Tempel von Babylon und war knapp 20 Meter breit: Auch drei assyrische Tempel hatten geheiligte Straßen, die mit Schienen-Furchen versehen waren. Die Gefährte, auf denen die Abbilder der Götter zu den Tempeln transportiert wurden, befuhren diese Schienen aus Holz und Metall, da Steine und Erde tabu waren und nicht vom heiligen Wagen berührt werden durften.

Insgesamt wissen wir von vier alten vorderasiatischen Feststraßen. Eine fand sich in Anatolien in Bogazköy-Hattusa, und drei lagen in Mesopotamien: Uruk, Babylon und Assur. Die Straßen waren so aufgebaut, dass sich an den auf ihnen schreitenden Menschen eine innere Wandlung vollzog. Durch den Anstieg oder das Abfallen der Straße übertrug sich beim Gehen das Körpergefühl auf die Seele. Der Anstieg kann so zur inneren Erhebung in geistige Sphären führen, der Abstieg zum Sichwiederversenken ins Irdische. Das Gefälle der Prozessionsstraßen, Tore, die durchschritten werden mussten, und flankierende, mit drohenden oder schützenden Skulpturen versehene Mauern sind daher als gezielt eingesetzte Elemente zur Stimulierung der Seele zu betrachten.

Auch in Griechenland waren die Straßen geheiligter Boden. Hungrigen Reisenden war es sogar gestattet, die Opferspeisen, die in den Heiligtümern entlang der Straße lagen, zu essen. Irreführung von Reisenden war ein Sakrileg. Da die Landstraße dem männlichen Prinzip zugeordnet war und Apoll und Hermes die Schutzheiligen der Reisenden waren, war es den Frauen verboten, den Fuß auf diese Straßen zu setzen. Sie durften ausschließlich in Wagen reisen. Während der eleusischen Mysterien zog eine Prozession von Athen nach Eleusis auf der »Heiligen Straße«.

In Italien war es per Gesetz untersagt, dass die Frauen auf den Straßen eine Spindel offen trugen oder gar Fäden spannen. Die Spindel war Symbol der Rotation des Himmels um die axis mundi herum und ihr Gebrauch an zentrale Orte gebunden, wie den Herd oder den Marktplatz. Die Umdrehungen der Spindel hätten die heiligen Energien der Straßen stören können.

Die heiligen Straßen Chinas waren 50 Schritte breit und neunspurig. Von den neun Spuren (in China eine heilige Zahl) war die mittlere dem Kaiser allein vorbehalten. Ihr Betreten war bei Todesstrafe verboten. Um diese Straßen überqueren zu können, wurden sie von Zeit zu Zeit von Brücken überspannt.

Die christliche Variante des heiligen Weges sind Kreuzwege, die den Gläubigen den Passionsweg Jesu nachempfinden lassen. Auch die Heiligen Stiegen, wie sie in Süddeutschland erstmals in Lenggries

errichtet wurde, gehören zum Typus des heiligen Weges auf den Kalvarienberg.

Die Aymaré-Indianer Südamerikas wandern während einer Zeremonie im Gänsemarsch auf einer 3,6 km langen, schnurgeraden Linie zu einer Bergspitze. Dort verehren sie die Lokalgottheit mit Gebeten und Opfern. Auch in den anderen geschilderten Fällen verliefen die Straßen oft schnurgerade. Vielleicht ist auch die außergewöhnliche Geradlinigkeit der Römerstraßen auf ihre Heiligkeit zurückzuführen. Immerhin ließen sich die Römer entlang der Straßen ihre Gräber errichten! Auch der Brauch, Kirchen auf Straßenfundamente früherer römischer Landstraßen zu setzen, weist auf deren mögliche Heiligkeit hin.

Vielerorts findet man, ähnlich der Forderung in dem Zitat des Propheten Jeremias, an Straßen Steinhaufen, sogenannte Cairns. Jeder Resende, will er mit Sicherheit weiterreisen, muss seinen mitgebrachten Stein zum Haufen hinzufügen. Diese Steinhaufen werden in Madagaskar, Tibet, Wales, Mexico, Peru und einigen anderen Ländern gefunden.

Letztlich hat das Bedürfnis, bei der Wallfahrt die Natur aus einer Bewegung heraus zu erleben, seine Wurzel in den Urkulturen der Menschheit. Sergius Golowin sieht im Drang zum Pilgertum einen Rest des einst nomadischen Lebens. Die Zigeuner sehen, übereinstimmend mit indischen Sagen, den Sinn der Weltgeschichte in einem Zug der menschlichen Sippe von einem heiligen Ort zum andern. Die Nomaden wanderten so weit, bis sie eine Gegend fanden, die sie als besonders gesund, glückbringend, heilig empfanden. Auch Günther Dietz Sontheimer sieht eine enge Verbindung zwischen der Route einer heutigen hinduistischen Wallfahrt und den prähistorischen Wanderrouten der Nomaden und letztlich könnte auch für Kurt Galling die Beziehung zu bestimmten heiligen Stätten das Streben der Wüstenstämme nach Landnahme in Palästina mitbegründet haben. Und auch bei der jährlichen Totenzeremonie des australischen Stammes Arunta folgt der Stamm dem Weg des göttlichen Ahnen aus der »Traumzeit«. Er macht an zahllosen Stellen halt, an denen der Ahne haltgemacht hat, und wiederholt die Taten aus der heiligen Zeit. Demzufolge könnten viele heilige Feste an bestimmten Orten und zu bestimmten heiligen Zeiten der Zeit des Jahres entsprechen, zu der die nomadischen Ahnen an diesem Ort vorbeizogen. Wenn dies stimmt, so erhält die Vermutung eine starke Wahrscheinlichkeit, dass die Sesshaftwerdung der nomadischen Stämme nach religiösen Motiven erfolgte. Die Standortwahl der Niederlassungen wäre dann nicht aus profanen Überlegungen heraus erfolgt, sondern an Orten, die für heilig gehalten wurden. Somit wäre die Gestalt unserer Landkarten entscheidend von dem spirituellen Verhältnis der Menschen zur Landschaft geprägt.

Bild: saravut @ fotolia.com

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