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Kirchenachse und Patrozinium

04. Mai 2017 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Geomantie, Symbole, Astronomie, Architektur, Zeitqualität | 0 Kommentare

Kirchenschiff und Heiligenfiguren

Die Ausrichtung eines Tempels zu astronomische Ereignissen wie z.B. dem Punkt des Sonnenaufgangs am Horizont war bereits Jahrtausende vor dem Christentum gängige Praxis. Durch die Ausrichtung der Tempelachse auf ein Ereignis im Jahreslauf, wird der Tempel in Raum und Zeit verankert und erhält am gewählten entsprechenden Tag eine Aktivierung dieser Zeitqualität.

Bis weit ins 16.Jahrhundert hinein war es auch gängige Praxis christlicher Kirchenbauer, das Kirchenschiff und damit den Chor nach der aufgehenden Sonne zu orientieren. Nun geht jedoch die Sonne nicht an jedem Tag des Jahres an der gleichen Stelle am Horizont auf, sie verschiebt im Jahreslauf ihren Aufgangspunkt ab der Frühjahrestagundnachtgleiche mehr und mehr nach Norden, um zur Sommersonnwende ihr nördlichstes Extrem zu erreichen. Sodann kehrt sich die Bewegung um und wandert zurück nach exakt Ost, geht darüber hinaus, um zur Wintersonnwende sehr weit im Südosten aufzugehen und anschließend die Bewegung wieder umzudrehen. Die Verschiebung der Aufgangspunkte ist an den Tagundnachtgleichen am stärksten (täglich beinahe um ein Grad verschoben) und an den Sonnwenden am schwächsten. So ist zwischen dem 11. Juni und dem 2. Juli nahezu keine Verschiebung festzustellen.

Wegen dieser Verschiebung der Aufgangspunkte am Horizont sind die wenigsten Kirchen exakt geostet. Wie erwähnt nutzte man diese Eigenschaft, um die Kirchenachse in der Raumzeit zu definieren. So wurde in der Regel der Punkt am Horizont gewählt, an dem die Sonne an dem Tage aufging, an dem der Kirchenpatron (Titularheiliger) seinen Festtag im Jahreskreis hatte, also z.B. bei einer St. Martinskirche der Aufgangspunkt am 11. November. Somit wurde die Zeitqualität mit im heiligen Raum “eingefangen”. Viele christliche Heilige tragen daher Attribute, oder sind der Heiligenlegende nach mit Symbolen verbunden, die zugleich ihre Zeitqualität im Jahreslauf, bzw. bestimmte astronomische Ereignisse ausdrücken. Johannes der Täufer etwa hat seinen Heiligentag am 24. Juni, drei Tage nach der Sommersonnwende. Da er der Legende nach enthauptet wurde, wird er oft dargestellt mit dem Kopf auf einem Tablett, wobei sein Haupt von seinem Haar strahlenförmig umgrenzt ist. Diese Darstellung hat einen deutlichen Symbolbezug zur Sonne mit ihren Strahlen, die zu dieser Zeit in ihrer stärksten Kraft ist, danach aber ihre Kraft verliert (= “Enthauptung”).

St. Johannes Nepumuk ist ein Heiliger, der oft auf Brücken dargestellt ist. Sein Attribut ist das Kreuz, sein Tag (Geburtstag) im Jahreslauf ist der 20. März, kurz vor der Tagundnachtgleiche. Seine Beziehung zu Brücken beruht auf der Heiligenlegende, wonach er in der Moldau ertränkt wurde. Sein Leichnam aber trieb trotz Gewichte an der Oberfläche und “strahlte wie die Sonne”.

Die Brücke tritt uns damit in Verbindung mit der Heiligenlegende als ein Symbol der “Überbrückung” entgegen. Die Tagundnachtgleiche bildet eine “Brücke” zwischen der dunklen und der hellen Zeit des Jahres. Der Heilige selbst “strahlte wie die Sonne”, er ist die Sonne, die diese “Brücke” überschreitet.

Am 23. September, dem Tag der Herbst-Tagundnachtgleiche, ist der Gedenktag der heiligen Elisabeth. Sie ist die Mutter von Johannes dem Täufer, der exakt neun Monate später (Sommersonnwende, siehe oben) seinen Gedenktag hat. Oft wird sie im schwangeren Zustand abgebildet: Der “Lichtheros” Johannes ist im Mutterleib, d.h. “verborgen”, so wie ab diesem Tag die Sonne sich von Tag zu Tag mehr verbergen wird.

Dies sollen nur einige Beispiele für die astronomische Symbolik der Heiligen im Jahreslauf und den mit ihnen verbundenen Kirchenvisuren sein.

Bild © Stefan Brönnle

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