In Basel gibt es ein kleines Gässlein mit merkwürdigem Namen: Das Totengässlein. Der Name für diese Gasse ist seit 1861 offiziell, wurde aber bedeutend länger als solcher genutzt. Im 13. Jahrhundert war der Weg als „Totgassun“ bekannt. Die Gasse verbindet die tiefer gelegenen Teile der Kirchengemeinde St.Peter mit der Kirche. In ihr - und nur in ihr – wurden die Verstorbenen zum Friedhof der Kirche St. Peter hinaufgetragen. Die Kirche St. Peter ist bis zurück ins 9. Jahrhundert belegbar. Dementsprechend handelt es sich um einen uralten Verbindungsweg von Stadt und Kirche.
Geomantisch betrachtet geht mit dem Totengässlein ein sogenannter Seelenweg einher. Nicht nur der physische Leichnam wurde auf seinen letzten Weg hier getragen, vielmehr ist es tatsächlich auch ein Weg der Verstorbenen, der entkörperlichten Seelen.
Der immaterielle Weg führt in die Kirche St.Peter und bewegt sich dort entlang der südlichen Kirchenflanke. Auch in der Kirche wird der weg erneut thematisiert: Während die nördliche Seitenkapelle einst Maria geweiht war, war die südliche Seitenkapelle, in die der Seelenweg mündet, einst eine St. Martinskapelle. Der mit seinem Schwert den Mantel – den Schleier zwischen Dies- und Jenseits – teilende St. Martin wird manchmal auch mit einem Raben dargestellt und verkörpert damit niemand anderes als den Psychopompos Odin/Wotan. Die St. Martinskapelle, auf die das Totengässlein und damit der Seelenweg zuführt, ist somit tatsächlich ein starkes Jenseitssymbol. Während die Marienkapelle für die Mutter, das Leben, steht, steht St. Martin für das Jenseits.
Im Bereich des Lettners wird das Thema erneut aufgegriffen:
In einer Nische findet sich eine Darstellung der Heiligen Dorothea aus dem Ende des 14. Jahrhunderts. Auch sie spiegelt in ihrer Legende die dünne Schwelle zwischen Dies- und Jenseits wieder: Nach verschiedenen Martyrien sollte Dorothea enthauptet werden. Vor ihrer Hinrichtung sprach sie: „In dieser Welt ist es kalt und finster. Ich freue mich, dass ich nun aufbreche in ein Land, in dem es keinen Winter gibt und indem ich Äpfel pflücken und Rosen brechen werde“. Darauf rief jemand voller Spott: „Wenn Du dort ankommst, so schick uns doch einen Korb voll Äpfel und Rosen!“ Und in der Tat trat nach der Hinrichtung ein Knabe an den Mann heran und reichte ihm einen Korb voll Äpfel und Rosen. In ihnen erkennen wir Symbole des Körpers (Apfel) und der Seele (Rose) wieder. So wird Dorothea auch angerufen in schwierigen Geburts- und Sterbeprozessen. Sie ist eine typische Schwellenheilige.
Eine weitere Grablege im Kirchenschiff ist da nur noch ein i-Tüpfelchen.
So zeigt sich im Totengässlein und der angrenzenden Peterskirche in Basel ein klassischer Seelenweg wieder, der innerirdische und außerirdische Jenseitswelten verbindet.
Bilder © Stefan Brönnle
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