Wir nähern uns der Herbst-Tagundnachtgleiche, jedem Zeitpunkt im Jahr, wo sich Licht und Dunkelheit die Waage halten. Solche Zeiten wurden seit jeher für Rituale der Wahrsagung und der Balance genutzt. Eines solcher Rituale ist das altbekannte Mühlespiel.
Eines der ältesten Mühlespiele stammt aus der Zeit um 1400 v.Chr. und wurde auf einer Dachplatte eines ägyptischen Tempels entdeckt. Nicht, dass hier Dachdecker sich die Zeit vertrieben, vielmehr handelt es sich um ein rituelles Spiel und damit letztlich um ein magisches Zeichen. So finden sich eingeritzte Mühle-Spielfelder an Wänden mit Jahrtausenden alten Ritzzeichnungen, in Franken in den Burgruinen Lichtenfeld, Rotenhahn und Altenstein, auf der Großcomburg, auf einer Kirchentreppe im alten Ephesus, in der Basilica Iulia in Rom, am Königsthron Karls des Großen in der Aachener Pfalzkapelle, als bronzezeitliche Grabbeigabe in Wicklow/Irland und noch an vielen anderen sakralen Orten.
Was hat das Mühlespiel mit einem Ritual zu tun?
Das Spielfeld baut sich auf in drei quadratischen Ebenen. Das Quadrat ist ein altes Symbol für die Welt. So stehen die drei Quadrate für drei Welten, für Ober-, Mittel- und Unterwelt, oder schlicht für Körper, Seele und Geist. Verbunden sind die drei Ebenen durch eine Linie in je eine der vier Himmelsrichtungen, die somit die drei Seinsebenen durchdringt und verbindet: Die Weltenachse (axis mundi), wie sie auch in dem Mythen des Weltenbaums beschrieben wird.
Das Spiel wird mit 3 x 3 weißen und 3 x 3 schwarzen Steinen gespielt. Weiß und schwarz sind die Symbole für Licht und Dunkelheit, für die beiden Jahreshälften, die sich in den Äquinoktien begegnen. Es ist also das rituelle Ringen zwischen Sommer und Winter, zwischen Tag und Nacht, zwischen Bewusstsein und Schlaf, das hier nachgespielt wird. Verbunden mit einer Ausgangsfrage, wird das Spiel zu einem Orakel, das mit dem Gewinn von Weiß die Frage bejaht und mit dem Gewinn von Schwarz die Frage verneint. Die Symbol- und Matriarchatsforscherin Marie König deutet die Neun – als potenzierte 3 (3x3) - als das Ordnungsprinzip der Zeit, einem universellen Ordnungsschema des Kosmos. 9 weiße und 9 schwarze Steine stehen sich gegenüber – die Ordnung des Lichtes und die Ordnung der Finsternis.
Das Feld gibt die Möglichkeit, an 24 Plätzen seinen Stein zu setzen: 2 x 12. Die Zwölf tritt und in den 12 Tierkreiszeichen entgegen, die uns letztlich in den 12 astrologischen Häusern, ja den 2 x 12 Stunden auf der Uhr wieder entgegentreten: Licht und Finsternis begegnen sich im Zeit-Raum des Jahres (12 Monate) und sind an den Äquinoktien gleich stark.
Abwechselnd setzen der weiße und der schwarze Spieler einen Stein. Wenn nicht hier bereits eine Mühle geschlossen wurde, so bleiben von den 24 möglichen Plätzen, die von 2 x 9 =18 Steinen besetzt wurden, 6 Plätze frei. In der 6 ist die 1 (Einheit), die 2 (Polarität/Dualität) und die 3 (Körper, Seele, Geist) enthalten und zwar sowohl additiv, als auch multiplizierend: 1+2+3 = 1x2x3 = 6. Bei den Kelten galt die 6 als heilige Zahl. 3 Tage vor und 3 Tage nach Vollmond galten als heilig (3 + 3 = 6). Nach 2 x 6 Raunächten begann ein neuer Zyklus und die Stuben wurden gereinigt. Die Kelten lebten das Geistige im Materiellen, Zyklischen. Die freien 6 Felder sind – ähnlich wie im Jahreslauf die Raunächte eine „Offene Zeit“, eine Nicht-Zeit. Sie geben den Geistern den Raum zu wirken, die 6, die Geist und Materie verbindet, hält auf der anderen Seite ein Portal für die Spirits offen.
Nun wird gespielt. Wenn sich drei Steine zur Dreiheit vereinen, ist die Mühle geschlossen und unantastbar: Körper, Seele und Geist sind im Einklang und fest verbunden. Nun besitzt der Spieler die Macht, den Gegenpol zu schwächen, weil er ganz in seiner Kraft ist. Wenn nur noch drei Steine übrig sind, kann der Spieler zwischen den Seinsebenen hin und her wechseln und springen…
So stellt das Mühlespiel, das viel älter als Schach ist, das rituelle Ringen von Tag und Nacht, von Hell und Dunkel, von Sommer und Winter dar. Zur Tag-und-Nachtgleiche wurde Mühle gerne gespielt, um Aussagen über die Härte des kommenden Winters oder den Ertrag und die Fülle des Sommers machen zu können, um die Balance der Kräfte rituell zu erhalten, oder einfach, um den Zyklus zu ehren…
Bilder © Stefan Brönnle
Kommentare