Der Glaube bemüht sich sehr, sich vom Aberglauben abzuheben, die Religion distanziert sich vom Schamanismus und doch steht ausgerechnet in einem der christlichen Hauptfeste die in schamanischen Kulturen gelebte religiöse Ekstase im Fokus: Pfingsten.
Das christliche Pfingsten ist das dritte Hauptfest im Kirchenjahr nach Weihnachten und Ostern und gilt als „Geburtstag der Kirche”. Das Wort Pfingsten leitet sich von „Pentekoste“, dem griechischen Begriff für „der fünfzigte Tag“ ab, denn mit Pfingsten endet die fünfzigtägige Osterzeit. Das christliche Pfingsten bezieht sich damit auf das jüdische Erntedankfest Schawuot, das 50 Tage nach Pessach gefeiert wird.
Das christliche Pfingstfest stellt ein Ereignis ins Zentrum, bei dem der „Heilige Geist“, die göttliche Schöpferkraft, über die Anhänger Jesu kam: „Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“ >Sie wurden erfüllt vom heiligen Geist<. Auch wenn ein gläubiger Christ hier vehement widersprechen wird, kennen wir dieses Erfülltsein von einem Gott oder einem Geist aus schamanischen Kulturen. Der so betroffene Mensch fällt in eine sogenannte Ekstase.
Die Ekstase („Außersichgeratensein“) ist eine Sammelbezeichnung für besonders intensive trance-ähnliche oder durch Trance entfesselte psychische Ausnahme-Zustände, die von den Betroffenen als dramatische Zustandsveränderungen des Bewusstseins erfahren werden. Das Bewusstsein wird ihren Angaben zufolge während der Ekstase als „erweitert“ oder „erhöht“ erlebt. Für Außenstehende erscheint der Betroffene „außer sich“ (ekstatisch), oder wie es in der biblischen Beschreibung des Pfingstwunders heißt: „Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein“.
Für die Jünger war das authentische Erfahren der göttlichen Schöpferkraft, des „Heiligen Geistes“, ein die Persönlichkeit erschütterndes Ereignis, eine Grenzerfahrung. Die nach dem Tod Jesu ihrem Führer beraubten Jünger erhielten so eine Wiederanbindung an die authentische göttliche Urkraft und begannen von diesem Tage an die Taten Jesu zu verkünden. Daher beginnt ausgerechnet mit einer Trance die Geburt der Missionierung und letztendlich der Kirche.
Die ekstatische Trance ist, wie es die Kulturanthropologin Dr. Felicitas Goodman ausdrückt, „die biologische Tür zur anderen, heiligen Wirklichkeit. Das Körpererlebnis allein ist keine Bewusstseinserweiterung. Durch die rituelle Körperhaltung und die damit verbundene Absicht kann man mit allen Sinnen zum ekstatischen Erleben kommen. Ekstatisches Erleben ist das, was wir in der anderen Bewusstseinsdimension erfahren." Und der Religionswissenschaftler Mircea Eliade: „Die Ekstase ist das zentrale Element im Schamanismus und die wichtigste Arbeitsmethode jedes Schamanen“. In der ekstatischen Trance kommuniziert der Schamane mit den Geistern und Göttern, so wie die Jünger vom Schöpfungsimpuls Gottes ergriffen begannen in den verschiedensten „Zungen“ zu reden: „Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.“
In der Tat ist die unmittelbare Erfahrung anderer Wirklichkeiten in der Trance die eigentliche Sprache des Göttlichen.
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