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Der Gral und der Urdbrunnen der drei Nornen

24. Sept. 2024 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Mythen, Symbole, Götter | 0 Kommentare

Drei Nornen am strahlenden Urdbrunnen beim Weltenbaum
Der heilige Gral ist ein Symbol und ein Mythos, die die abendländische Spiritualität zutiefst geprägt haben. In dieser Reihe sollen Wurzeln und Querverbindungen der Gralssymbolik zu anderen bedeutenden Artefakten der Mythologie und ihrer Besitzer offenbart werden.


Nach der Völuspa liegt an den Wurzeln des Weltenbaumes Yggdrasil der Urdbrunnen, der von den drei Nornen gehütet wird. Der Urd- oder altnordischurðarbrunnr ist die Quelle des Urd, wobei Urd ungefähr als „Schicksal“ übersetzt werden kann. Etymologisch ist Urd verknüpft mit dem sächsischen „wurd“ oder auch dem angelsächsischen „wyrd“ und bedeutet soviel wie Geschick, Schicksal, oder Bestimmung (modern könnte man durchaus den Sanskritbegriff des Karma verwenden). In seiner adjektivischen Bedeutung bedeutet das Urd aber auch so viel wie „numinos“, also mit göttlicher Kraft behaftet. Im Gylfagynning, einem Hauptteil der in Prosa verfassten Snorra-Edda, wird das Wasser des Urdbrunnens beschrieben:

Dies Wasser ist so heilig, dass alle Dinge, die in jene Quelle geraten, so weiß werden wie die Haut, die man Skjall nennt und die innen an der Eierschale sitzt.

Das Wasser durchlichtet also, macht transparent, lässt erkennen und durchdringen.

Im Gralsepos Parzival von Wolfram von Eschenbach sind dies Eigenschaften dem dort nicht näher beschriebenen Gral nachgesagt werden. Im Speziellen taucht das Motiv aber auch in der heiligen Quelle auf, die von Kunneware gehütet wird. Das (Grals-)Schwert, das beim dritten Schlage zerbricht, kann in der Quelle erneuert werden. So tauchen Hüterin und Quell ebenso im Gralsmythos auf und sind aufs engste mit dem heiligen Gral verbunden, ja z.T. gar eine Wesensidentität von ihm.

Die drei Hüterinnen des Urdbrunnens in der nordischen Mythologie sind die drei Nornen Urd, Verdandi und Skuld. Sie sind es, die den Menschen, ja sogar den Göttern selbst ihr Schicksal zuweisen. Sie sind damit älter als selbst die Götter, typische Schicksalsgöttinnen. Sowohl in ihrer Dreiheit als auch in ihrer Funktion gleichen die drei Nornen den drei Moiren der griechischen Mythologie, die Töchter Gaias selbst sind.
Der Begriff der Norne leitet sich vom Indogermanischen „norhni“ ab, was mal in etwa als „Verknüpferin“ oder „Weberin“ übersetzen könnte. Diese drei Nornen nun hüten nicht nur den Brunnen des Schicksals, der gralsähnliche Züge trägt, sie begießen mit seinem Wasser auch die Wurzeln des Weltenbaumes und tragen dadurch zu dessen Gedeihen bei. Das Wasser des Urdbrunnens lässt den Weltenbaum wachsen und schafft so eine Verbindung zwischen den verschiedenen Bewusstseinswelten.

Eine Esche weiß ich,
heißt Yggdrasil, Den hohen Baum
netzt weißer Nebel;
Davon kommt der Tau,
der in die Täler fällt.
Immergrün steht er
über Urds Brunnen.

Davon kommen Frauen,
vielwissende,
Drei aus dem See
dort unterm Wipfel.
Urd heißt die eine,
die andre Verdandi:
Sie schnitten Stäbe;
Skuld hieß die dritte.
Sie legten Lose,
das Leben bestimmten sie
Den Geschlechtern der Menschen,
das Schicksal verkündend.

In Eschenbachs Parzival begegnen uns die drei als die drei Frauen Jeschute, Sigune und Kunneware, denen Parzival aus Torheit Verletzungen zufügt. Ihre Wiedergutmachung ist Teil seines Prozesses letztlich zum Gralskönig zu werden.

Während in den keltischen Mythen (Cerridwen, Dagda) der Gral v.a. in seiner Vitalkraftkomponente erscheint, die das Leben gebiert, zeigt sich der Urdbrunnen der drei Nornen vor allem als Bewusstseinskraft, die das Schicksal der Schöpfung bestimmt. Hier wird der Gral gleichsam zur Wurzel der seelischen Menschheitsentwicklung, zum Träger der spirituellen Evolution der ganzen Materie. Das Wasser des Urdbrunnens durchlichtet die Materie, gibt ihr Sinn und versieht sie mit Bewusstsein.

Beides vereint sich im Mythos um den Heiligen Gral.


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