Wer kennt nicht den Mythos von Medusa? Gemeinsam mit ihren Schwestern Stehno und Euryale entstammte Medusa der Verbindung von Keto und Phorkys, zweier Meeresgottheiten. Medusas Ursprung liegt also dort, wo alles Leben begann: Im Meer. Sie ist eine Urkraft. Ovid beschreibt Medusa als die Schönste der drei Gorgonenschwestern:
„Medusa hatte einst Reize; um ihre Liebe rang eine Schar neidischer Liebhaber. Sie, die sie gesehen haben, sagen, dass sie nie mehr bewegende Züge in einem süßeren Gesicht gesehen haben. Doch vor allem ihr langes Haar, so sagen sie, wogte in goldenen Locken, und glänzte anmutig.“
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Ovid, Metamorphosen
Doch als Athene sie gemeinsam mit dem Meeresgot Poseidon sah, der sich in Medusa verliebt hatte, wurde Athene so wütend, dass sie Medusa verfluchte und so wurde aus ihr, wie wir sie kennen: Schlangenhaupt und Schlangenschwanz.
...bis Perseus Medusa enthauptete und ihren Kopf als Waffe missbrauchte.
So glauben wir alles über dieses Wesen zu wissen und Medusa teilt das Schicksal so vieler Schlangenwesen: Verkannt, verdrängt und missbraucht! Dabei liegen die Ursprünge der Medusa gar nicht in Griechenland. Im Raum des heutigen Libyens wurde die Gestalt der Medusa als eine Schlangengöttin verehrt, deren Blut so mächtig war, dass die damit sowohl Leben erschaffen als auch den Tod bringen konnte. In vorhellenistischen Darstellungen wird Medusa daher von zwei Schwänen begleitet, die in entgegengesetzte Richtungen blicken. Erkennen wir in der Macht ihres Blutes, die mythologisch-symbolische Kraft des Menstruationsblutes, das „tötet“, weil mit ihm die Eizelle abgeht und zugleich Voraussetzung des neuen Lebens ist?
Auch nach der Antike verlor Medusa nie ganz ihre ursprünglich positive Kraft. Ihr Haupt zierte Schilde ebenso wie Tore und schützte damit das Individuum und das Kollektiv. Ein Beispiel eines solchen schutzgewährenden Medusenhauptes wurde in Form eines Anhängers aus dem 2. bis 4. Jahrhundert in Cambridgeshire gefunden. Und wäre das Medusenhaupt tatsächlich so negativ besetzt, hätte Versace es dann zu seinem Logo erhoben?
In der Tat finden wir die Kraft der Transformation und der wundersamen Lebenserzeugung sogar in den antiken griechischen Mythen selbst:
Nachdem Perseus Medusa enthauptet hatte, entstieg ihrem blutenden Hals das geflügelte Pferd Pegasus. Das Blut der Medusa erschafft ein Symbol der Sonnenkraft (Pferd), das sich mit seinen Flügeln ins Geistige aufschwingt! Hesiod schreibt sogar, dass auch der goldene Riese Chrysaor aus dem durchtrennten Hals hervorging. Otto Jessen sieht im goldenen Riesen ein Symbol von Blitz, Donnerwolke, Regen oder anderer Naturerscheinungen. Aus Medusas Blut entspringt sowohl der Geist als auch die Urkraft der Erde, in ihrer edelsten, weil goldenen, Form.
So ist Gorgo Medusa ein Ursymbol für die transformierende Kraft des Weiblichen. In ihrem Anblick können wir versteinern oder uns erneuern, ganz wie wir und die „Schlangengöttin“ es wollen. Damit wird Medusa zum Archetyp unserer Wandelzeit, der transformierenden Kraft, die uns erstarren und damit im alten Zustand verharren lässt oder uns zu geistigen Höhenflügen (Pegasus) und zur Annahme der eigenen Urkraft (goldener Riese) anhält. Es ist die Macht der großen Göttin selbst, die sich wandelt. Ihr Blut ist das Blut des Wandels und der Weisheit. Schlagen wir der Medusa dieser Zeit nicht den Kopf ab im ewig patriarchalen Kampf um Macht, sondern haben wir Teil an der transformierenden Kraft ihres Seins!
Titelbild © Roberta Calabrese/shutterstock
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