Über die zweischwänzige Meerjungfrau, die Melusine, haben wir schon an anderer Stelle berichtet (Melusine). Nach einer der Legenden, die die Melusine umranken, war sie dazu verdammt, sich an einem Tag der Woche in ein Mischwesen zu verwandeln - je nach Sagenversion halb Mensch und halb Schlange oder eben Fisch. Durch die Heirat eines Mannes mit einer Melusine kann ein Geschlecht viel Reichtum und Glück gewinnen. In der Melusine scheint damit die Symbolik der Schlange (oder des Drachens) durch, mit ihrer Urkraft die Fruchtbarkeit des Landes zu stärken. Ihre meist auseinander gehaltenen Fischschwänze gleichen bestimmten Gebärstellungen. Die Melusine ist damit ein starkes Symbol der Fruchtbarkeit und Sexualität, ja, der Urkraft des Landes.
Mancherorts, wie am Brunnen auf dem Kapellplatz des Wallfahrtsortes Altötting (Bild), werden Melusinen aber auch mit (Engels-)Flügeln dargestellt. So treffen hier die Urkraft der Erde und die Kraft des Kosmos (Engel) gleichsam in einer Gestalt zusammen. Das Oben und das Unten wird in einer Symbolgestalt vereint. Es ist wie die Verheißung des "Himmlischen Jerusalems", der Paradieswerdung der Erde, oder auch des Neuen Menschen.
Der Neue Mensch ist ein philosophisches Bild, in dem der Mensch seiner Bestimmung gerecht wurde. Er entwickelt sich zu einem gleichsam göttlichen Wesen und vereint in sich das Hochgeistige ebenso wie die wirkende Kraft des Physischen - Materie und Geist. So ist die geflügelte Melusine in sich eine axis mundi, eine Weltenachse, und ruft den Menschen dazu auf, sich sowohl seiner eigenen Göttlichkeit als auch seiner Physis und der mit ihr verbunden Kraft bewusst zu sein, ohne die jeweils gegenpolare Kraft zu verleugnen.
In der geflügelten Melusine wird der Kampf zwischen dem Engel und dem Drachen transformiert in ein Wesen, das beide Anteile in sich trägt. Insofern ist das mythische Wesen die symbolische Verheißung eines Zustandes, den der Mensch immerwährend in sich trägt. Er muss sich nicht von der Erde abwenden, um sich dem Kosmos zuzuwenden, denn die Erde - Gaia - selbst ist ein Sternenwesen. Indem wir uns dieser kosmischen Kraft Gaias bewusst werden, versöhnen wir den Dualismus zu einer Polarität und das Gegeneinander zu einem Miteinander.
Welch wunderbares Symbol dieser Wandelzeit! Wir müssen uns nicht für einen der Pole entscheiden, sondern können beides versöhnt - die Urkraft Gaias ebenso wie die Geistkraft des Kosmos - in uns tragen. So wird der Mensch zu einem lebendigen Weltenbaum, zu einer Brücke, die von beiden Seiten überschritten werden kann zum Wohle aller Mitgeschöpfe. In diesem Prozess befinden wir uns an dieser Schwelle...
Initiationsprozess "Portale der Wandelzeit" Start Oktober 2021
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