Die "andere
Wirklichkeit" durchdringt unser Leben. Obgleich eine spirituelle
Ebene, ein durchseeltes Erleben, in unserer Existenz keine Rolle zu
spielen scheint und sich unser Leben scheinbar zwischen Arbeit und
Schlafengehen abspielt, gibt es doch immer wieder einen "Riss in
der Matrix". In dieser Reihe möchte ich persönliche
Erlebnisse, oder jene von mir persönlich bekannten und
vertrauenswürdigen Menschen beschreiben, bei denen die "andere
Wirklichkeit" sich offensichtlich Bahn brach. Alle Ereignisse
sind so geschehen und werden wie erinnert wiedergegeben...
Mitte
der 1990er Jahre leitete ich eine Geomantie-Ausbildungsgruppe. Es war
Frühling und wir waren an einem kleinen Wäldchen, das auch als
Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen war. Es war eine ganz bezaubernde
Atmosphäre und der Waldboden war voller Buschwindröschen und in den
feuchteren Bereichen zeigte sich ein gelber Teppich aus
Scharbockskraut. Die Aufgabe bestand für die TeilnehmerInnen darin,
sich mit dem Genius des Ortes zu verbinden. Jeder sollte sich einen
Platz suchen, um dort in die Wahrnehmung zu gehen. Ich ermahnte die
TeilnehmerInnen noch einmal nicht als "schweres geomantisches
Räumgerät" im Wald zu wüten und sich vorsichtig zu bewegen,
um geringstmöglichen Schaden an dem Blütenteppich zu verursachen.
Nach einer Einstimmung trennten wir uns und jeder suchte sich seinen
Platz.
Auch ich machte mich auf und fand bald einen wunderbaren Platz, der trocken genug war, um sich zu setzen und sich doch in der Nähe einiger Feuchtbiotope befand. So kam ich innerlich an, schaffte emotionalen Freiraum, dehnte mein Bewusstsein aus und nahm den Ort wahr.
Bald
bemerkte ich, dass auch ich durch meine Wahrnehmung Aufmerksamkeit
auf mich zog. Einige Wesen des Waldes begannen sich für mich zu
interessieren. Vor meinem inneren Auge nahmen sie die Gestalt von
Nymphen an, die sich mir näherten.
Die Wesen, die Nymphen,
begannen mich zu umrunden, was ich bald als eine Art Tanz zu erkennen
glaubte. Dabei wurde ich auch gelegentlich sanft berührt.
Kausal-äußerlich war dies mal die sanfte Brise des Frühlingswindes,
der meine Haut streichelte, mal ein Duft, der mir zuflog und mal ein
Kräutlein, das mir an den Beinen kitzelte. Doch stets kam eine
solche äußere Berührungserfahrung nachdem ich innerlich die
Annäherung einer Nymphe wahrgenommen hatte.
Es mochten vielleicht fünfzehn Minuten vergangen sein, als sich in mein Bewusstsein noch eine weitere Entität drängte. Sie war noch etwas weiter vor mir und ich erkannte sie als eher männlich. Bald wurde mir bewusst, dass dieses Wesen mich eher skeptisch bis ablehnend beäugte. Zunächst ignorierte ich es und hielt meine Aufmerksamkeit bei den tanzenden Nymphen. Doch das männliche Wesen drängte sich immer stärker in meine Wahrnehmung. Schließlich formte sich auch hier ein Bild vor meinem inneren Auge und ich erkannte einen Mann mit Hirschgeweih. Die Kelten kannten eine solche Gestalt als die Naturgottheit Cernunnos.
Die Präsenz wurde in meiner Wahrnehmung zunehmend mächtiger. Zudem nahm das Gefühl der Ablehnung immer mehr zu. Offenbar war es dieser Naturgestalt mit dem Hirschgeweih gar nicht recht, dass mich die Nymphen derartig umspielten. Ich hätte es zuvor nicht für möglich gehalten, aber das mir entgegenkommende Gefühl zeigte mehr und mehr die Züge von Eifersucht. Ich wollte mich aber nicht so leicht des Platzes verweisen lassen und blieb am Ort. Cernunnos näherte sich daraufhin mit starken Schritten. Nun war es offenbar, dass er mich hier nicht haben wollte. In diesem Moment hörte ich genau aus der Richtung, in der ich den geweihten Naturgott wahrgenommen hatte, ein Knacken und Poltern, als würde jemand durch das Unterholz brechen.
Mein Kausalbewusstsein meldete sich zurück und ich meinte, der Urheber dieser Geräuschkulisse müsste ein Teilnehmer sein, der sich da einen Weg durch das Gestrüpp bahnte. Ich wurde ein wenig ungehalten, hatte ich doch vorher extra darum gebeten, sich vorsichtig durch den Wald zu bewegen, hier aber knackte und polterte jemand unüberhörbar auf mich zu und brach dabei Zweige des Gebüschs vor mir.
Ich öffnete die Augen, um diesen Jemand zu ermahnen, da sah ich unmittelbar einen Rehbock auf mich zurennen. Er wandte sich nicht etwa zur Flucht, sondern hielt schnurgerade auf mich zu. Sollte ich ausweichen? Er polterte ungestüm näher. Erst etwa zwei bis zweieinhalb Meter vor mir schien er mich wahrzunehmen, schlug erschreckt einen Haken und verschwand wieder zwischen den Bäumen....
Natürlich war diese Begegnung an sich im Wald nichts Ungewöhnliches, doch ein Rehbock, der entgegen seinem Fluchtinstinkt unmittelbar auf einen zu hält, ist es dann doch. Man könnte kausal erklären, er wäre durch einen der anderen Teilnehmer aufgescheucht worden und hätte zufällig meine Richtung eingeschlagen. Doch der auf mich zu rennende Bock fügte sich so nahtlos in die zuvor gemachte innere Erfahrung des "eifersüchtigen Naturgottes mit dem Geweih", der sich auf mich zubewegte, um mich zu vertreiben, als wäre eine Filmszene in die andere überblendet worden. Innere Wirklichkeit und äußere Realität waren nahtlos verschmolzen.
So akzeptierte ich schließlich, dass ich hier wohl nicht länger geduldet war und zog mich aus dem Wald zurück. Der sich "in einen Rehbock verwandelnde Cernunnos" zeigte mir eindrücklich wie stark die Anderswelt und unsere physische äußere Realität verschmelzen konnten und wie wenig sie im Erleben zu trennen waren.
Bild © Stefan Brönnle (Vorlage Volodymyr Burdiak/Shutterstock & Veronese)
Kommentare