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Die Gitter unseres Weltbildes

26. Juni 2018 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Wahrnehmung, Ethik, Weltbilder, Spiritualität | 0 Kommentare

Blick aus einem Vogelkäfig

Wir sind der geistigen Enge des Mittelalters entwachsen. Das ist gut so, denn unsere Kultur lernt, dass es nicht nur eine Art gibt, andere Wirklichkeiten zu interpretieren. Dadurch wird die spirituelle Weltsicht durchmischt mit buddhistischen, hinduistischen, daoistischen Konzepten, mit Sichtweisen der nordamerikanischen Indianer, der nordischen Samen, mongolischer Schamanen und afrikanischer Stammespriester...

Die Grundkonzeption all unserer Interpretationen, das Ordnungssystem, in das wir die neuen Ideen integrieren, jedoch ist kulturell weiterhin das Christentum. Und so kommt es, dass wir zwar schamanische Techniken nutzen und auf Seelenreisen unsere spirituellen Erfahrungen sammeln, aber bestimmte Erwartungshaltungen sich einfach nicht ändern wollen...

Ich bin auf meinem persönlichen Weg vielen Persönlichkeiten begegnet. Die einen prägten und beeindruckten mich durch ihre Fähigkeit der präzisen Wahrnehmung weit über den Blick unseres biologischen Auges hinaus. Andere waren befähigt, mich Bewusstseinstechniken zu lehren und wieder andere berührten mein Herz durch die Kraft ihrer Vergebung, ihres Mitgefühls und ihrer Liebe. ...Wohlgemerkt, es waren unterschiedliche Personen!
Doch in unserer Kultur herrscht nach wie vor die Ansicht vor, nur wer gut und brav lebt, wird auch erleuchtet; nur wer erleuchtet ist, wird mit der „übersinnlichen Schau" beschenkt; nur wer eine erweiterte Wahrnehmung besitzt, kann Dich lehren und nur der, der lehrt, weiß. Tief sitzt in uns das christlich geprägte Vorstellungsbild des Dualismus, dass nur der vom Göttlichen begünstigt wird, der ein „guter Mensch" ist.

Doch ethisches Handeln ist keine Voraussetzung z.B. eines guten Schamanen! Knud Rasmussen beschreibt seine Expeditionserlebnisse zwischen 1921 und 1924 in das arktische Nordamerika, durch Alaska, Kanada und Grönland. Er traf den Eskimoschamanen Aua, einen gastfreundlichen und großherzlichen alten Mann. Er traf den jungen Schamanen Igjugarjuk, der aus Begehren zu einer Frau, die die Familie ihm nicht überlassen wollte, die ganze Familie tötete. Und Rasmussen unterhielt sich ausgiebig mit dem Schamanen Najagneq, der wegen siebenfachen Morden gesucht war und dem sich keiner zu nähern traute.

Und doch verkehrten sie alle mit den Spirits, berieten Menschen in ihren Problemen. Jeder hatte seine Geschichte, wie er den Spirits, dem Göttlichen, dem Bewusstsein in der Natur, zum erstenmale begegnet war und war davon tief berührt und verändert worden.

Weisheit ist kein Garant für Ethik, Ethik ist kein Garant für Können, Können ist kein Garant für die Liebe zur Erde und all ihren Wesen. Niemand ist ethisch gut, weil er sich über das Physische hinaus mit anderen Wesen unterhalten kann, niemand ist minderwertig, der dies nicht vermag.
Von jenen, die mein Leben und mein Wirken beeinflusst haben, würde ich nicht jedem meine Seele anvertrauen und doch konnte ich von ihnen lernen. Priester sind nicht zwingend gute Menschen – auch christliche nicht. Moral ist nicht identisch mit Ethik.

Das macht es kompliziert, denn es wirft uns zurück auf uns selbst. Mit rein christlichen Maßstäben werden wir die Weisheit anderer Völker, Kulturen und Religionen nicht erfassen können. Dies heißt aber eben auch nicht, dass man alle ethischen Grundsätze des Christentums auf den Müllhaufen der Geschichte werfen muss und soll. Wir sind auf einem beständigen Weg der spirituellen Erkenntnis, individuell und kollektiv.

In der aktuellen Zeit begegnen wir anderen Religionen in „unserem" Land. Nein, sie sind keine Christen (so wie auch nicht alle Ureinwohner dieses Landes Christen, oder gar "Deutsche" waren). Wir haben das Recht, die Ethik anderer Glaubensvorstellungen zu hinterfragen! Es sollte uns aber stets auch Anlass sein, unsere eigenen Glaubensvorstellungen auf den Prüfstand zu stellen. Nicht jeder Christ ist gut – das muss man angesichts des Leids, das Christen bis heute über andere bringen, nicht extra betonen. Nicht jeder Moslem ist böse und frauenverachtend. Nicht jeder Jude ist Zionist und reich, nicht jeder Buddhist ist weise. Wer so denkt hat Angst, wer so redet, schürt Hass. Es ist niemand, dem wir folgen sollten.

Wenn an Weltbildern – vor allem natürlich an den eigenen – gerüttelt wird, ist dies furchteinflößend, wenn das, was Du gewohnt bist zu sehen, sich verändert, macht das Angst. Aber nur eine solche Veränderung unseres Umfeldes kann uns auch innerlich verändern. Sie ist die kulturelle Chance, eigene Konzepte zu „prüfen und das beste für die zu behalten" (1.Thessalonicher 5:21). Wenn wir die Enge spiritueller Vorstellungen hinter uns lassen wollen, müssen wir auch bereit sein aus dem Gefängnis des eigenen Weltbildes zu treten. Was uns erwartet, wird uns verändern, aber ob gut oder schlecht, es kann nur eine größere Welt sein.

Bild © bluedesign/fotolia.com

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