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Spiritualität ohne Religion

21. Mai 2018 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Wahrnehmung, Ethik, Religion, Spiritualität | 0 Kommentare

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Religion ist ein beständiger Zankapfel:

„Oder geht's da nebenbei auch um so religiösen Zwist, dass man sich nicht einig wird, welcher Gott nun der wahre ist?"

sang einst Udo Lindenberg. Umgekehrt führt eine Welt ohne Spiritualität zu einer mechanistischen Weltanschauung, deren Folgen wir alle kennen. Darum stellt sich die Frage, ob eine gelebte Spiritualität ohne Religion überhaupt möglich ist.

Doch was ist überhaupt Religion? Was Spiritualität?
Spiritualität leitet sich vom lateinischen spiritus ab, was „Hauch, Atmen, oder Geist" meint. Die Spiritualität bezeichnet eine auf eine innere geist-seelische Verbindung zum Transzendenten hin ausgerichtete Haltung oder Weltsicht.
Religion dagegen leitet sich ab vom lateinischen religio, was soviel wie „Sorgfalt" oder „Achtsamkeit" meint. Auch hier ist die Grundlage der Glaube an eine transzendente Kraft oder Macht. Im Unterschied zur Spiritualität aber wird die Religion in kultischen Gemeinschaften praktiziert und setzt darum ein einheitliches Weltbild der Gläubigen voraus. Dieses Weltbild ist jeweils Streitpunkt zwischen den Religionen. Dabei wird das erklärende mythologische Bild an sich als inhärente Wahrheit begriffen. Insbesondere die Schriftreligionen (Judentum, Christentum, Islam), haben dieses Glaubensbild in ein heiliges Buch transskripiert. Wahr ist nun, was geschrieben steht.

Dadurch entfernt sich jedoch die Religion immer von der ursprünglichen Erfahrung, die die Spiritualität anstrebt. Die Erklärung wird höher gewertet als das Erleben. Salopp könnte man auch sagen, die Spiritualität befindet sich in einer Haltung des Suchens, die Religion dagegen in einer Haltung des Gefundenhabens.
Hat man die Wahrheit gefunden, setzt die Verteidigungshaltung ein und genau die führt dazu, dass dem Gegenüber nicht mehr zugehört wird. Allein eine andersartige Verwendung eines Begriffs kann hier zum Zerwürfnis führen.

Nun ist der Mensch jedoch ein Gemeinschaftswesen. Soziale Netzwerke leben davon, dass der Mensch sich anderen mitteilen, eine gemachte Erfahrung teilen will. Auch transzendente Erfahrungen wollen geteilt werden, besser noch: Man möchte diese gemeinsam erleben. Dies führt zu Kulthandlungen, die ein – zumindest umrissenes – geistiges Weltbild voraussetzen. Und schon haben wir im Grunde eine Religion. Es scheint unmöglich zu sein, spirituell zu leben, ohne einer Religion oder Glaubensgemeinschaft anzugehören.

Und doch streben unzählige Menschen nach einer solchen Haltung. Nach einer Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster aus dem Jahre 2008 erleben sich immerhin 40% der Deutschen als spirituell (indem Sie z.B. an eine transzendente Kraft glauben). In einer aktuellen Studie der Universität Bielefeld und der University of Tennessee in Chattanooga (USA) hielt sich sogar die Hälfte der Befragten für „eher spirituell als religiös".

Eine religionsfreie Spiritualität macht es dem einzelnen jedoch nicht leicht. Diese verlangt

  • nach der Bereitschaft und aktiven Ausführung von spirituellen Techniken, die eine unmittelbare transzendente Erfahrung ermöglichen (z.B. Meditiation, Kontemplation, Tranceerfahrungen, körperenergetischen Übungen u.a.)
  • nach einem weltsichtoffenen sozialen Umfeld, in dem die Erlebnisse geteilt und diskutiert werden können.
  • nach einer eigenen weltsichtoffenen Haltung den erlebten spirituell-religiösen Bildern und Erfahrungen gegenüber.

Unser Verstand strebt nach Erklärungen, um Erlebnisse einordnen zu können. Erklärungsmodelle transzendenter Erfahrungen gibt es auch zuhauf. Gerade die bilderreiche Welt der Religionen ist voll davon. Viele Bilder ähneln sich sogar sehr stark. Die Schwierigkeit liegt vielmehr darin, sich von der religiösen Erklärung nicht gefangen nehmen, oder andersherum abstoßen zu lassen. So erlebe ich oft, dass gerade in der „spirituellen Szene" christliche Bilder und Benennungen oft auf heftige Ablehnung stoßen, nichtchristliche mythologische Bilder dagegen unhinterfragt und ohne eigenes Erleben übernommen werden. Es mag jetzt hart klingen, aber ein solches Verhalten ist eben gerade nicht spirituell, sondern eben religiös. Die individuellen und kollektiven psychologischen Prozesse gleichen dabei jenen, die in den Religionszwisten auftreten. D.h. die eigene Haltung ist eben nicht weltsichtoffen.

Auch andere individuelle psychische Muster laufen der religionsfreien Spiritualität oft entgegen. Der Mensch strebt nach Führung. So wird danach gefragt, was wahr und was unwahr ist. Wahrheit ist jedoch von der Wahr-nehmung abhängig. Wollen wir eine Spiritualität ohne Religion, so ist jeder Suchende aufgefordert, sich funktionierende praktikable Techniken anzueigenen, die spirituelle Erfahrungen ermöglichen. Besitzt man diese nicht oder übt man diese nicht aus, so ist man gezwungen zu glauben, was wiederum einer Art Führung oder Priesterschaft benötigt. Salopp gesprochen: Willst Du eine religionsfreie Spiritualität erleben, musst Du den Hintern aus dem Sessel bekommen und selbst suchen. Andere können Dir nicht sagen, was wahr ist und was nicht, sie können Dir höchstens als Wegweiser dienen wie und wo, weitere Erfahrungen gemacht werden können, die Deine Perspektive und Dein Weltbild erweitern.

Spiritualität ist darum nichts für Mitläufer, nichts für Nachbeter und eben schon gar nichts für radikale Fundamentalisten. Sie verlangt nach dem drängenden Wunsch, das Transzendente selbst zu erleben. Die Gefahr einer Religionsbildung ist gerade bei intensiven transzendenten Erfahrungen beständig gegeben. Umgekehrt kann man durchaus einer Religion anhängen und dabei spirituell bleiben, insofern die favorisierte Religion eben nicht als letzte, wahrhaftige Antwort verstanden wird.


Religionsfreie Spiritualität ist eben nichts für Weicheier....

Bild: Digistore24 freshfotos

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