Dass sich das Kleine im Großen befinden kann, erschließt sich unserem kausalen Denken. Doch im Analogiedenken, dem magischen Denken, kann sich das Große auch im Kleinen befinden, sich durch dieses ausdrücken, widerspiegeln, ja sogar dadurch beeinflussen lassen!
So gibt es alte rituelle Muster der Reinigung. Die vier Ecken stehen im Haus für die vier Weltgegenden, jene vier Bereiche zwischen den Haupthimmelsrichtungen. Die Ecken verkörpern somit die ganze Welt und das Rad des Lebens. Das Ausräuchern der vier Ecken wirkt daher stellvertretend für alles im Haus. Alles, was zu lösen ist, zeigt sich hier und kann hier gereinigt werden. Die Absicht formt den Äther: Wenn die vier Ecken für alles im Haus stehen, so findet sich hier auch alles!
Dieses Prinzip wurde früher viel öfters genutzt, da das rituell-magische Denken dem Menschen noch viel vertrauter war. Auch das Räuchern und segnen der Haustüre sollte gleichermaßen auf allen Ebenen wirken, denn auch die Türe steht für das ganze Haus, „pars pro toto".
Das rituelle Umschreiten eines Feldes mit den Segenssprüchen in die vier Himmelsrichtungen stammt aus dieser Tradition. Je kraftvoller eine Reinigung sein soll, je komplexer die Umstände, desto stärker sind rituelle Formen, die sich an solchen Grundordnungen orientieren.
Bei einem mehrstöckigen Großbau, bei sehr alten, geschichtsträchtigen Orten und Häusern wird eine Reinigung durch eine separate Räucherung der Einzelobjekte schnell zur mehrtägigen Arbeit. Rituelle Formen können den Prozess abkürzen. Das Feuer, traditionell durch seine Kraft ein Zentrum bildend, wird dafür in der Mitte des Hauses in einer Schale entfacht und aus der Mitte gehend in die vier Ecken getragen. Damit wird ein universelles, heiliges Muster begangen. Die Geister und Kräfte der vier Himmelsrichtungen werden angerufen, die obersten Gottheiten der jeweiligen Kosmologie, aber auch die lebensspendende Erde mit ihren Geschöpfen. Damit wird das Haus und die Energien des Menschen in einen größeren Bezug gestellt. Viele feststeckende Energien lösen sich durch diese Rückbindung tiefer auf, als wir es bewusst nachvollziehen können.
So wird das Kleine zu einem Träger des Großen, ja, des Ganzen überhaupt: Im Samen steckt der ganze Baum und im Tropfen das Meer. Gerade in der rituellen Arbeit findet dieser Akt des „Teils für das Ganze" (pars pro toto) fundamentale Anwendung.
Text © Sibylle Krähenbühl
Bild © lassedesignen/fotolia.com
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