Das Auge ist ein kraftvolles Schutzsymbol, das interkulturell und weltweit anzutreffen ist. Auf der Insel Malta ist der Bug der traditionellen Fischerboote häufig mit Augen verziert (Hauptbild). Die Augen gelten abwechselnd als Auge des Horus oder Auge des Osiris. Sie sollen die Fischer vor Gefahren schützen und haben einen deutlich vorchristlichen Bezug – auch wenn die Boote selbst meist christliche Namen tragen. Diese Fischerboote werden „Luzzus“ genannt. Der Name „Luzzu“ steht in unmittelbarer Beziehung zum lateinischen „lux“ (Licht). Die Verbindung von Licht und Augen ist sehr eng. So war Lucina eine bei der Geburt helfende Göttin, die später vollständig mit der Göttin Juno verschmolz, die nunmehr u.a. als Juno Lucina angerufen wurde. Die Geburt, bei der das Auge „das Licht der Welt erblickt“, das Auge und die Göttin bildeten eine symbolische Einheit. So weihten römische Frauen ihre Augenbrauen der Juno Lucina, rasierten sie ab und brachten Sie der Göttin als Opfer dar. Insbesondere Wöchnerinnen opferten derart.
Das Auge als Schutzsymbol ist nahezu überall – mit unterschiedlichen Begründungen – von einer Gottheit (oder später einer christlichen Heiligen abgeleitet).
In Griechenland und der Türkei sind blaue Glasperlen mit konzentrischen weißen, hellblauen und schwarzen Kreisen als Schutzsymbole bekannt, die aussehen wie Augen. Sie werden Nazar genannt. Nazar kommt aus dem Arabischen und bedeutet „Sehen, Blick“, oder „Einsicht“. Insbesondere schützen die blauen Augen-Amulette vor dem „Bösen Blick“. Menschen mit hellblauen Augen gelten in dieser Region, in der die braune Augenfarbe vorherrscht, als mit dem „Bösen Blick“ behaftet. Das Augen-Amulett ist hier also ein typischer apotropäischer Zauber, der wie ein Spiegel das Unheil abwehrt. Die Abbildung zeigt einen rituellen Türschutz in Griechenland, bestehend aus Nazzar, Knoblauch und rituellem Hufeisen.
Im Nahen und Mittleren Osten sind Hände mit einem Auge typische verwendete Schutzsymbole. Sie werden „Hamsa“ (arabisch „Fünf“ für die fünf Finger) genannt (auch „Khamsa“) und gelten im moslimischen Kontext als die „Hand Fatimas“, im jüdischen als „Hand Miriams“. Das bereits mehrere Jahrtausende nachweisbare Schutzsymbol galt früher in Mesopotamien als die „Hand Ishtars“. Das Hamsa wird wie das Nazzar gegen Unheil allgemein, den Bösen Blick, oder speziell gegen Geister (Dschinns) eingesetzt.
Schon Plato brachte die Symbolik des Auges mit Erkenntnis und Erleuchtung in Zusammenhang. Für ihn war das Auge ein sonnenähnliches Sinnesorgan. Nicht umsonst ist das astrologische Symbol für Sonne s einem Auge ähnlich. In Indien finden so die „Augen des Shiva“ Anwendung als Schutzsymbol. Dabei handelt es sich um Perlen oder Steine, die auf der einen Seite ein stilisiertes Auge, auf der Rückseite aber eine Spirale zeigen. Auch diese symbolische Verbindung ist sehr alt und wir werden sie gleich noch näher beleuchten. Starke Ähnlichkeiten besitzen im Buddhistischen die „Augen des Buddha“ ebenso wie das „Auge des Horus“ in Ägypten, ja sogar das germanische „Auge des Odin“.
Reisen wir zurück in die prähistorische Zeit, so finden wir Spiralen, vor allem in der Kombination als „Doppel“- oder „Brillenspirale“ als „Augen der Göttin“. Wir finden diese Spiralabbildungen z.B. im prähistorischen Ganggrab Newgrange in Irland. Die Anthropologin Marija Gibutas sah in den Doppelspiralen vor allen eine Verbindung zur sogenannten Vogelgöttin, einem sehr alten Göttinnen-Archetyp, der sich letztlich später in den Eulenaugen der Athene wiederfindet. In der Bronzezeit fanden Fibeln (also Schmuckstücke, die dem Zusammenhalten von Kleidung dienten) in Form der schützenden Brillenspirale Anwendung. Sie stehen in unmittelbarer Tradition der neolithischen Brillenspiralen und den „Augen der Vogelgöttin“. Die Spirale ist ein altes Erkenntnis- und Lebenssymbol. Und wie schon bei den Amuletten „Auge des Shiva“ oder der römischen Lucina bilden Auge, Leben, Geburt, Erkenntnis, Erleuchtung und geistige Evolution eine Verbindung mit der Spiral-Symbolik.
Das augenförmige Schutzamulett soll also „erwecken“, „wachrütteln“, „wachsam machen“, „das Böse erkennen lassen“ und den Träger „spirituell fortentwickeln“.
Im christlichen Kontext ist es so dann z.B. die Heilige Odilia, die ihre Augen einem aufdringlichen Verehrer schenkt, was wiederum ein Grund dafür ist, das das Nazar-Amulett hier christlich als „Augen der Odilia“ genutzt wird.
„Augen sind die Fenster der Seele“, heisst es. Das Augensymbol ist daher sowohl Schutz- als auch spirituelles Entwicklungssymbol und nahezu so alt wie die Menschheit selbst. Wundert es da, wenn Thalamus und Hypothalamus im Zentrum unseres Gehirns die gleiche Form besitzen wie z.B. das „Auge des Horus“?
Bilder:
Fischerboot „Luzzu“/Malta © Fotolia
Schutzsymbole an Tür mit Nazar © Stefan Brönnle
Hamsa © Fotolia
Brillenspirale/Fibel Bronzezeit © Stefan Brönnle
Gehirn/Auge des Horus © Stefan Brönnle
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