Wir entfernen uns von der Erde – mehr und mehr. Unsere „Zuvielisation“ hat einen Punkt erreicht, von dem aus die Erde nicht viel mehr ist als ein mechanisches Konstrukt, eine Rohstoffquelle, ein Spekulationsobjekt. Dazu tragen wir alle bei. Diese kurze Artikelreihe soll zeigen wie sehr wir uns von der Erde entfernen, aber auch wie einfach wir ihr wieder begegnen können.
Die zeitliche Abkopplung
Die zeitliche Orientierung gehört mit zu den wichtigsten kulturellen Errungenschaften. Kalender sind ein Ausdruck dieser zeitlichen Ordnung, die uns allen selbstverständlich geworden ist. Die Stunden des Tages und ihre Messung durch immer exaktere Uhren – von der Sanduhr bis zur atomgebundenen Funkuhr – sind ein anderer Ausdruck der tagesgebundenen Rhythmen. Solche Orientierungen sind hilfreich und nützlich. Unsere Ernährung beruht letztlich immer noch auf den Tages- und Jahresrhythmen der Erde.
Doch die zeitliche Ordnung und die Messung der Zeit haben einen Abstraktionsgrad erreicht, der die Messung der Rhythmen über das tatsächliche Erleben erhebt. Wer weiß heute schon noch – ohne Blick in den Kalender – welche Mondphase gerade ist? Die künstliche Beleuchtung macht Sonnenauf- und –untergang zu einer bloßen Anekdote, die für unseren Tagesablauf nur eine – manchmal reizvolle, manchmal lästige - Nebenerscheinung darstellt, ihn aber kaum mehr beeinflusst. Doch der Rhythmus von Hell und Dunkel ist tief in unserem biologischen System verankert. Die circadiane (tagesbezogene) Rhythmik steuert Herzfrequenz, Blutdruck und Körpertemperatur bei Tieren und Menschen. Sie hat Einfluss auf das Öffnen und Schließen der Blüten, die Samenbildung, das Austreiben der Blätter usw. bei den Pflanzen. Lebt der Mensch asynchron zu diesem Tagesrhythmus kommt es zu Störung der Melatoninproduktion (Hormon, das in der Zirbeldrüse gebildet wird. Seine Produktion ist lichtsensibel), zu Depressionen und metabolischem Stress, was wiederum zu Diabetis mellitus und Übergewicht führen kann.
Der Mensch hat sich so weit von der wahren Tagesrhythmik entfernt, dass er glaubt, es wäre eine Stunde länger hell, wenn wir die Uhren auf Sommerzeit umstellen. Doch es ist nicht länger hell! Wir verfälschen nur unseren Zeitmesser. Das technische Instrument der Uhr wird höher bewertet als der wahre, erlebte Erdenrhythmus!
Oft erhielt ich bei der Betrachtung von Sonnenuhren mit Gruppen Aussagen wie: Die Sonnenuhr ginge falsch, weil der Schatten nicht die gleiche Zeit anzeigte wie die Armbanduhr. Die Sonnenuhr aber geht nicht falsch, es sind unsere verfälschten technischen Messinstrumente. Die Sonnenuhr zeigt die „wahre Ortszeit“ an: 12:00 Uhr Mittag ist, wenn die Sonne im Zenit steht. Es ist also in Dresden im Tagesverlauf „früher“ Mittag, als in Basel. Schon diese Vereinheitlichung der technischen Zeit über Mitteleuropa hinweg ist ein Schritt zur Abkopplung von den Erdrhythmen.
Eine zweite Ordnungsebene ist die Woche. Die 7 Wochentage sind – der chaldäischen Reihe folgend – Ausdruck planetarer Kräfte: Sonntag (engl. sunday)/Sonne, Montag (frz. lundi)/ Mond, Dienstag (frz. mardi)/ Mars, Mittwoch (frz mercredi)/ Merkur, Donnerstag (frz. jeudi) /Jupiter, Freitag (frz. vendredi)/Venus, Samstag (engl. saturday)/Saturn. Dieser Rhythmus ist seit über 4000 Jahren ungebrochen und überlebte Kalenderreformen. Dennoch ist auch dieser Erdrhythmus nicht ungefährdet: In der französischen Revolution wurde zwischen 1789 und Juli 1790 ein halbes Jahr lang die 10-Tage-Woche eingeführt. Im Dezimalsystem lässt sich doch viel leichter rechnen! 3 Wochen à 10 Tage ergeben dann einen Monat. In der Zeit der russischen Revolution wurde kurzfristig eine 5-Tage-Woche eingeführt, der Monat bestand also aus 6 Wochen. Gottseidank scheiterten diese Versuche der rhythmischen Abkopplung an der „Ignoranz“ der bäuerlichen Bevölkerung, die weiter ihre Rhythmen lebten.
Auch im Jahresverlauf leben wir inzwischen arrhythmisch: Im Winter, wenn sich bei uns die Vitalkräfte zurückziehen, sehen wir keinen Anlass mehr unsere gelebte Dynamik zurückzuschrauben. Gerade vor Weihnachten, vor dem „Tiefpunkt der Sonne“ zur Wintersonnwende wird es besonders hektisch: Geschenkeeinkauf, Dekovorbereitungen und mehrere Advents- und Weihnachtsfeste machen uns Menschen umtriebig – und dies in einer Zeit, in der die Natur ihre Kräfte aus dem Physischen ins Geistige verlagert.
Die christlichen Feste, die unseren Jahreslauf kultisch ordnen, liegen meist knapp neben den erdrhythmischen Tagen: Ostern – eine Woche NACH Frühlingsvollmond, Johanni – drei Tage NACH Sommersonnwende, Weihnachten – drei Tage NACH Wintersonnwende, usw. Wenn wir feiern ist das eigentliche Geschehen bereits vorbei. Somit verschwindet die Erlebbarkeit der geistig-seelischen Rhythmik der Erde.
Dies sind nur einige Beispiele unserer zeitlichen Abkopplung von den Erdrhythmen. Wenn wir der Erde wieder begegnen wollen, müssen wir auch ihre Rhythmen leben. Hier einige Anregungen, wie Du langsam zum Erdrhythmus zurückfinden kannst:
Wiederbegegnung
- Lass wenigstens EINE Uhr im Haus die „normale“ Zeit anzeigen, stelle sie also nicht auf Sommerzeit um.
- Bau Dir im Garten eine Sonnenuhr, damit Du Dir der „wahren Ortszeit“ bewusst wirst.
- Stehe einige Tage lang früh auf und erlebe bewusst den Sonnenaufgang.
- Halte mit Deiner Beschäftigung inne und erlebe den Sonnenuntergang mit allen Sinnen.
- Führe ein kleines Zeittagebuch und notiere, was Dir an den Tagen wiederfährt. Vergleiche die Erlebnisse mit der planetaren Rhythmik der Wochentage.
- Werde Dir der lunaren Rhythmik bewusst und erlebe achtsam die Qualität der Mondphasen.
- Halte an den Kardinalzeiten des Jahres inne und erlebe bewusst die Frühjahrstagundnachtgleiche (20./21.3.), die Sommersonnwende (20./21.6.), die Herbsttagundnachtgleiche (22./23.9.) und die Wintersonnwende (21./22.12.)
- Erlebe bewusst auch die große und die kleine Mondwende.
- Erlebe bewusst die „Zwischenfeste“, die im keltischen Jahresrad sogar teilweise als Hauptfeste gesehen werden: Samhain (ca. 1.11./11.Schwarzmond), Imbolc (ca. 1.2./2. zunehmender Mond), Beltane (ca. 1.5./5. Vollmond), Lughnasadh (ca. 1.8./8. abnehmender Mond)
- Feiere den Jahreskreis
- Nimm Dich im Winter zurück und schaffe Dir Freiräume der Muße.
- Werte mehr und mehr die wahren Rhythmen höher als die technische Zeit.
Bild © Stefan Brönnle
Kommentare
Ich hatte mal pferde und war deshalb sommers wie winters ständig draussen,ich hab ganz genau gewusst,ob es regnen wird oder nicht anhand der wolkenbildung und der Himmelsrichtung,aus der die wolken kommen...das weiss ich heute noch...man bekommt sehr dchnell wieder erdenkontakt,wenn man das nur will.
Haben Sie ganz vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel. Ich habe das Glück, seit wenigen Monaten Rentnerin zu sein und brauche nicht mehr früh den Wecker, um nach einem langen Arbeitsweg 07.00 Uhr auf der Arbeit zu sein und zu "funktionieren". Jetzt werde ich vom Licht des heller werdenden Tages geweckt. Dafür bin ich sehr dankbar.