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Die heilige Mitte

12. Mai 2016 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Geomantie, Schamanismus, Phänomene | 0 Kommentare

Apoll besiegt Python - Omphalos

Das psychologische Bedürfnis nach einer Mitte ist sehr groß. Darauf verweisen schon Wörter wie “Medi-zin” oder “Medi-tation”. Wir bedürfen der beständigen Rückführung zur eigenen Mitte. Erst durch die Bewusstwerdung der eigenen Mitte erkennen wir uns selbst. Selbst steuerrechtlich wird man bei mehreren Wohnorten nach dem “Lebensmittelpunkt” befragt. Er definiert uns. Daher finden wir natürlich auch in der Mitte des Sakralbaus die zentralen (sic!) Symbole der mythologischen Weltbilder einer Kultur. Interessant ist stets auch die örtlich definierte Lage der Mitte. Europäer weisen, nach ihrem Ich und ihrer eigenen Mitte befragt, meist aufs Herz, bzw. die Brust. Das Herz galt in Europa als Sitz der Seele. So spricht man z.B. davon “mit ganzem Herzen” bei einer Sache zu sein, oder auch “mit Leib und Seele”. In Asien dagegen, vor allem in Fernost, deuten viele Menschen, wenn sie “ich” sagen auf den Bauchraum. Hier sitzt in der ZEN-Tradition das Hara-Zentrum. Für die Daoisten lag hier das “Zinnoberfeld”, das Dantien. Hier soll sich die Urkraft des Lebens (Qi) speichern lassen und so Unsterblichkeit verleihen. Kulturell definiert Europa eine andere Mitte als Asien. Auch individuell lassen sich im Körper je nach Gemütsverfassung verschiedene Lagen der Mitte erspüren. Mal etwas höher, mal etwas tiefer, ja manchmal sogar ex-zentrisch.

Analog dazu wanderten auch die Mitten ganzer Völker. In China war damit auch eine Verlegung der Hauptstadt verbunden. So entstanden z.B. Beijing (Peking = “Nördliche Hauptstadt”) und Nanjing (Nanking = “Südliche Hauptstadt”). Doch stets wurde auch hier eine Mitte geschaffen.

In Beijing liegt sie in der Nähe des Himmelstempels. Ein dreistufiger Altarplatz, Erde, Mensch und Himmelverkörpernd, trägt exakt im Zentrum einen runden Stein. Hier, genau hier (!), so der Mythos, liegt die Mitte der Welt. In Delphi konnte das Orakel nur an einem einzigen Tag im Jahr weissagen, nämlich dann, wenn die Große Erdschlange (Python) anwesend war. Bis Apoll kam und das Haupt der Schlange mit einer Lanze durchbohrte und sie so am Boden fixierte. Er begrub die Schlange und setzte auf ihr Haupt dem Omphalos, den “Nabelstein”, die heilige Mitte. Wiederum erkennen wir Schlange/Drache (Achse), Lanze (Weltenachse) und Mitte in diesem “Schöpfungsakt” wieder. Der Omphalos aber wurde das neue Zentrum. Daher wird dieser Begriff gerne als terminus technicus für die heilige Mitte verwendet.

Die Auffindung eines Landschaftszentrums, die Kreation einer heiligen Mitte und die rituelle Mittengestaltung sind bis heute wesentliche Grundtechniken eines Geomanten und Schamanen…

Tipp: Die Große Mitte

Bild © Stefan Brönnle

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