Die Gemeinsamkeit der Schamanen und Schamaninnen Amerikas, Asiens, Afrika und dem alten Europa beruhen auf der Praxis der Schamanischen Reise. Der Schamane verlässt, oft begleitet durch den monotonen rhythmischen Klang der Trommel den Körper und begibt sich mit der Seele auf Reisen. Er folgt den alten Pfaden in die untere, die mittlere oder obere Welt, wie er sie von den Geistern und den Ahnen gezeigt bekommen hat.
Die Reise in die untere Welt:
Das Bewusstsein des Reisenden wandert vom Körper weg in die Welt, denn der Zugang zur unteren Welt will gefunden werden. In den Erfahrungen vieler heute schamanisch Reisender zeigen sich die Zugänge in die untere Welt ähnlich, wie sie in alten Überlieferungen und Märchen so oft beschrieben sind. Durch Quellen und Brunnen, entlang von Baumwurzeln, in Höhlen steigend erreichen die Reisenden den Zugang in die Erde. Durch die Höhlen sucht er den Weg und geht weiter, bis er in der unteren Welt angekommen ist. Hier begegnen ihm die Geister der Tiere. Auf der Suche nach seinem Krafttier und Tierverbündeten braucht es Geduld. Unter Umständen muss diese Welt mehrere Male aufgesucht werden, bis sich ein Verbündeter zeigt. Der Tiergeist kennt die wahre Absicht eines Reisenden und kann sich auch „rar“ machen, wenn die Ernsthaftigkeit der Absicht nicht vorhanden ist. Die Begegnung mit dem Krafttier ist meistens eine tiefe Erfahrung. Die Freundschaft und Kraft, die in den Begegnungen erlebt werden, sind von großer Tiefe und so intensiv gefühlt, das sie klar von einer selbstsuggestiven Projektion oder reiner Wunschvorstellung unterschieden werden können.
Die Krafttiere sind Begleiter in der Anderswelt. Sie führen den Reisenden, sind Boten und Vermittler, zeigen die benötigte Hilfen oder Antwort auf die vielen Fragen und Nöte der Menschen. Krafttiere führen uns oft in die untere Welt, wenn Heilmittel für jemand Erkranktes gefunden werden müssen. Sie begleiten auf der Suche nach geeigneten Heilpflanzen oder zeigen in der Anderswelt die Elementarkräfte, die auf die Person übertragen werden sollen, um ihn mit neuer Kraft zu versorgen. Sie sind Begleiter bim Auffinden und entfernen eines „Krankheitsgeistes“ im Körper des Patienten. Sie selbst, das Krafttier, das zu uns kommt, weist uns auf die „Kräfte“ hin, die in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen. Daher ist es weise, es immer wieder aufzusuchen, um von ihm zu lernen.
Eine Klientin, die in einer starken Erschöpfungsphase in die untere Welt reiste, um Hilfe zu suchen, wurde von ihrem Krafttier aufgefordert, in sein Fell hineinzuschlüpfen. Im Körper des Krafttieres musste sie auf einer warmen Felsplatte an der Höhe eines kraftvollen Berges Heilschlaf halten. Was etwa 15 Minuten dauerte, wurde von ihr wie Stunden wahrgenommen. Erneuert und Ausgeruht kehrte sie in die mittlere Welt zurück, deutlich gestärkt. Durch den Heilschlaf im Körper des Krafttieres war ein Großteil der Lebenskraft beständig zurückgekehrt.
In Europa gibt es aber auch Spuren der alten Erdgöttin, die durch den Zugang in die Tiefe aufgesucht werden konnte. Im Märchen der Frau Holle wechselt ein Mädchen die Welten beim Fallen in den Brunnen. Sie verliert dabei das Bewusstsein und wacht auf einer grünen Wiese wieder auf. Sie kommt an ein Haus, aus den eine hässliche Alte schaut, bei der sie bleiben darf. Das Reich der Frau Holle ist in der Tiefe der Erde, ähnlich der unteren Welt. Wenn Goldmarie die Betten schüttelt in dem Märchen, schneit es auf der Erde. Die alte Erdmutter ist die, die die ungeborenen Seelen der Kinder hütet, die Fruchtbarkeit des Landes und die Jahreszeiten hervorbringt und die Seelen der Verstorbenen wieder nach Hause geleitet. Die Spindel, an derer sich Goldmarie vor dem Sprung in den Brunnen den Finger blutig sticht, weist auf den Bezug zu den alten Schicksalsgöttinnen, die den Lebensfaden und damit das Geschick der Menschen spinnen. Die untere Welt zeigt sich damit aufs engste verbunden mit dem Leben hier auf Erden. Die untere Welt ist verbunden mit der Lebenskraft der mittleren Welt, in der wir leben. Die Krafttiere sind Geistwesen, vollendete Erscheinungen der mannigfaltigen Lebenskraft der Natur. In sehr alten Darstellungen wird eine Göttin gezeigt, die die Tiere des Waldes an ihren Brüsten nährt. Diese „Herrin der Tiere“ erinnert uns an das alte Wissen, dass die Schöpfergöttin, die „Mutter“, die Natur gebiert und das Leben aller Geschöpfe. Ohne ihr Dasein und ihre Kraft gibt es keine physische Schöpfung. Der Zugang zu ihrem Reich ist die Tiefe.
Die untere Welt zu bereisen, ja die Erforschung der verschiedenen Wirklichkeiten ist die größte und spannendste Reise überhaupt!
Seminartipps:
Wege in die Anderswelt: Schamanische Reise
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Text: Sibylle Krähenbühl
Bild © Stefan Brönnle (Vorlagen: Fotolia)
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