Die Interpretation von Richtungsqualitäten ist eine typische geomantische Kunstfertigkeit. Wir finden sie im chinesischen Feng Shui ebenso wie im indischen Vastu, der Disciplina Etrusca, oder der christlichen Sakralarchitektur. Jede Himmelsrichtung hat ihre eigene seelische Wirksamkeit. Mit ihr verbunden sind in unserer seelischen Erfahrung unmittelbar auch Zeitqualitäten:
Mit dem Nordosten wenden wir uns den Zwischenhimmelsrichtungen zu. Die Zwischenhimmelsrichtungen Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten spielen in unserer profanen Alltagsorientierung eher eine untergeordnete Rolle. In der Sakralarchitektur und mythischen Raumwahrnehmung dagegen, sind gerade sie von ganz besonderer Bedeutung. Der älteste bekannte Kompass hatte die Form eines Löffelchens, das auf eine Bronzetafelgesetzt wurde und mit seinem Stiel nach Süden wies. Er stammt aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. und wurde bei chinesischen Grabbeigaben gefunden. Die Bronzetafel war eine Art “seelische Landkarte” und sollte dem Verstorbenen den rechten Weg weisen. So trug der Nordosten die Bezeichnung “Geistertor”. Der Einsatz des Kompasses zu Navigationszwecken erfolgte erst viel später. Seine erste Nutzung war eine geomantische. Der Nutzer las aus den Magnetfeldlinien geistig-seelische Wirkungen ab! Gerade die Nordost-Südwest-Achse erfuhr in vielen Kulturen eine besondere symbolische Hervorhebung: In China wurde sie auch als “Geister-“ oder “Teufelsachse” tituliert. Dies ist auch der Grund, warum manche Feng Shui-Berater die Ausrichtung eines Hauses nach Nordosten als eher problematisch sehen.
Im Nordosten wird im Feng Shui (später Himmel) das Trigramm GEN, der Berg, verortet. Es wird umschrieben als “ruhend, stetig und beharrend”. Im erweiterten Sinne wird der Nordosten auch mit „Meditation“ und „innerem Wissen“ in Verbindung gebracht. Es ist die Fähigkeit der Selbstreflektion und der Inspiration durch höhere geistige Kräfte.
Im indischen Vastu ist der Nordosten die favorisierteste Himmelsrichtung überhaupt. Die Vastu-Purusha-Figur weist optimaler Weise mit dem Haupt nach Nordosten. Der Nordosten gilt in der indischen Geomantie als spirituell rein. Er wird von Ishan, eigentlich der personifizierten Göttlichkeit, beherrscht. Es ist die bevorzugte Himmelsrichtung für den Hausaltar. Deshalb muss nach Ansicht des Vastu der Nordosten unbedingt rein gehalten werden. Oft wird hier ein Trinkwasserreservoir angelegt.
Der Nordosten ist die Richtung, an der zur Sommersonnwende die Sonne aufgeht. Es ist eine Zeit des Umbruchs, ab diesem Zeitpunkt werden die Tage wieder kürzer, die Kraft des Körperlichen nimmt von nun an ab und die des Geistigen zu. In Stonehenge befindet sich nordöstlich des Hauptsteinkreises der Heelstone, der Fersenstein, der den Sonnenaufgangspunkt zur Sommersonnwende im Nordosten markiert.
Im Indianischen finden die Richtungsqualitäten z.B. im Medizinrad Berücksichtigung. Der Nordosten entspricht hier z.B. dem Totem des Otters, der seelisch für den Zusammenhang von Individuum und Gemeinschaft steht. Im geomantischen Raumhoroskop dagegen finden wir im Nordosten den Wassermann, ein Zeichen, das für die Wandlungskraft, für die Gleichzeitigkeit von Gegensätzlichem, für das Brechen mit alten Mustern steht. Der Wassermann verkörpert aber auch eine Gemeinschaft aus starken Individuen!
Die Richtungsqualitäten des Nordostens in Kürze:
Geistig-kosmische Impulse, Brechen mit alten Mustern, Wandlungskraft, Individuum und Gemeinschaft.
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