Märchen sind Mythen mit einer tiefen Symbolik. Sie greifen zurück auf kulturelle seelische Erfahrungsschätze. Viele dieser Seelenerfahrungen reichen dabei weit in die grundlegende Beziehung von Erde und Mensch hinein. In dieser Reihe wollen wir dem geomantischen Gehalt einiger Märchen nachspüren.
Wer das Märchen nicht kennt und noch einmal lesen möchte, findet es hier:
http://www.internet-maerchen.de/maerchen/froschko.htm
>Der Froschkönig oder der eiserne Heinrich< wie das Märchen vollständig heißt, scheint sich oberflächlich wieder moralisierend mit der Hochnäsigkeit der Königstochter auseinanderzusetzen. Doch wie alle Märchen, beruht auch der Froschkönig auf sehr alten Mythen. Auffällig wird dies schon daran, dass die Prinzessin, die in diesem Märchen die Hauptrolle spielt, nicht die einzige Königstochter ist. Vielmehr hat der König 3 Töchter. Wie so oft klingt darin die dreifache Göttinnengestalt an: Die Schwarze (Alte, Tod), die Rote (Fruchtbarkeitsbringende) und die Weiße (Jugendliche, Reine). Die weiße Göttin vertritt das Kosmisch-Geistige. Auch mit drei „Himmelskörpern“ werden die drei Göttinnen assoziiert: Die Schwarze mit der Wandlungskraft des Mondes, die Rote mit der Fruchtbarkeit der Erde und die Weiße mit der Bewusstseinskraft der Sonne. So wundert auch nicht, dass die Königstochter, um die das Märchen sich dreht, die Jüngste ist und mit der Sonne assoziiert wird: „….aber die jüngste war so schön, dass sich die Sonne selber, die doch schon so vieles gesehen hat, verwunderte, sooft sie ihr ins Gesicht schien.“ Sie ist ein Symbol, für die Weiße Göttin, die Göttin des Lichtes, des Geistes und der kosmischen Kräfte. Wundert es da, dass ihr liebstes Spielzeug eine Kugel (Vollkommenheitssymbol) aus Gold (Bewusstsein, Sonne) ist?!
Doch die Königstochter ist traurig uns einsam (Je nach Märchenfassung hat sie „Langeweile“, also keine Gesellschaft). Alleine sitzt sie oft an einem Brunnen und spielt mit ihrer goldenen Kugel.
Der Brunnen ist ein mehrdeutiges Symbol. Wie auch im Märchen „Frau Holle“ stellt er ein Portal in andere Welten, vor allem in die Erde dar. Er ist eine Weltenachse, eine „axis mundi“. Zeitgleich ist Wasser Lebenskraft und Fruchtbarkeit. Indem nun der Königstochter ein Teil ihres Bewusstseins, ihrer sonnenhaften Kraft, die goldene Kugel, in den Brunnen fällt, „befruchtet“ sie gleichsam geistig die Erde. Sie, die das >Weiße Prinzip< verkörpernd, fernab des physischen Erdaspektes ihr Dasein hat, verbindet sich über die Weltenachse des Brunnens mit eben jenem physischen Aspekt des Seins, indem sie die Erde mit dem Geist „befruchtet“. Gerade dadurch wird sie sich umso mehr Ihrer Einsamkeit bewusst und beginnt fürchterlich zu weinen.
Mag es ihr Weinen sein, oder die goldene Kugel selbst, ihre Handlung „weckt“ den Frosch und ruft ihn an die Oberfläche. Auch der Frosch ist – wie letztlich jedes Symbol – mehrdeutig. Frösche sind symbolisch selbst mit Fruchtbarkeit, Erotik und Transformation (von der Kaulquappe zum Frosch) stark verbunden. Die altägyptische froschköpfige Göttin Heket war eine Göttin der Geburt. Selbst einem Embryo ähnelnd, stellt der Frosch das embryonale zu entwickelnde Potential des Menschen dar. Er besitzt mit seinen Fingern und seinem Gesicht bizarre, menschenähnliche Züge. Heket war Tochter des Sonnengottes Re, insofern wundert es nicht, dass der Frosch die Macht besitzt, die goldene Kugel wieder an die Oberfläche zu bringen.
Der Frosch bietet sich zum Tausch seiner Dienste als Tierbräutigam an. Das Bild des Tierbräutigams oder der Tierbraut ist in unterschiedlichsten Variationen in verschiedenen Mythen und Märchen vertreten. Auffällig dabei ist, dass die „Erlösung“ aus der Tiergestalt oft über den Tod des Tierkörpers stattfindet, oder in der Variation durch einen Schlaf. Es wird so begreiflich, dass auch der Frosch im Bett der Königstochter schlafen will. Stets geschieht die Verwandlung (Wiedergeburt) auch durch eine junge Frau. So auch im „Froschkönig“: Die Bewusstseinskraft der Göttin erweckt über eine Wiedergeburt den „wahren Menschen“, den Prinzen.
So erkennen wir im Märchen >Der Froschkönig< jenseits der Moralisierung der Gebrüder Grimm die Kraft der kosmischen weißen Göttin wieder, die es vermag die Tiefen der Physis mit Bewusstsein zu erfüllen und geistig zu „befruchten“. Geschieht dies auch im Menschen, so wird er verwandelt. Wendet sich der Mensch dem geistigen Aspekt der Göttin Erde zu und lässt sich von ihrem Bewusstsein durchdringen, so wird er zum „Wahren Menschen“, zum göttlichen Menschen.
Als der Diener, der „eiserne Heinrich“, dieser Erlösung bewusst wird, springen drei eiserne Bänder von seinem Herzen ab: Das Herz wird auf allen drei Seinsebenen – physisch, emotional und geistig – befreit. So stellt sich „Der Froschkönig“ erneut als ein Mythos der Wiedergeburt da, der sich erneuernden Kraft, wenn sich der Mensch mit dem Bewusstsein der Erde verbindet.
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Kommentare
Vielen Dank für die schöne Bewußtseinserweiterung zum Märchen Froschkönig. Ich arbeite selbst im pädagogisch-kreativen Bereich mit Märchen und finde es immer wieder spannend über den Moralaspekt hinaus in die Tiefen der Märcheninhalte vorzudringen. Auf dieser Grundlage werden die Märchengespräche, die ich in meiner MärchenWerkstatt mit den Kindern bei der Aufarbeitung des Märchentextes führe, erst richtig interessant. Denn ich stelle dabei auch immer wieder fest, dass gerade kleinen Kindern durch ihr unvoreingenommenes Wesen oft die Türen zu den Tiefen eines Märchens offen stehen.