Märchen sind Mythen mit einer tiefen Symbolik. Sie greifen zurück auf kulturelle seelische Erfahrungsschätze. Viele dieser Seelenerfahrungen reichen dabei weit in die grundlegende Beziehung von Erde und Mensch hinein. In dieser Reihe wollen wir dem geomantischen Gehalt einiger Märchen nachspüren.
Wer das Märchen nicht kennt und noch einmal lesen möchte, findet es hier:
In Schneewittchen begegnet uns eine geradezu klassische Abbildung der Vorstellung von der Erde als Magna Mater, als Große Mutter. Die Große Göttin wurde in matriarchaler Zeit oft in einer weiblichen Trinität, einer Ternität, wie sie gerne Marko Pogacnik nennt, dargestellt. Diese dreifach-eine Göttin wurde durch drei Farben charakterisiert: Schwarz – Rot – Weiß.
Auch Schneewittchen sind diese drei Farben zu eigen: Haut so weiß wie der Schnee, Lippen, so rot wie Blut und die Haare so schwarz wie Ebenholz. Damit zeigt sich Schneewittchen als ein deutlicher Ausdruck der Erdgöttin.
In mythologischer Vorstellung erstirbt (in unseren Breiten) die Erde jedes Jahr, geht ihren Gang ins Todesreich und wird dann erneut geboren. Ein Beispiel für das mythologische Bild des Weges der Göttin ist der griechische Mythos von Persephone (römisch Proserpina), wie sie z.B. Homer in der „Hymne für Demeter“ darstellt: Die Göttin Kore wird von Hades in die Unterwelt entführt. In dieser wird sie als Persephone bezeichnet. Ihre Mutter Demeter lässt aus Trauer nichts mehr wachsen, bis Zeus bei Hades durchsetzt, dass Persephone als Kore die Hälfte des Jahres auf der Erde weilen darf. Dies ist die Zeit der Fruchtbarkeit.
Im Märchen von Schneewittchen ist auch die „Böse Stiefmutter“ ein Ausdruck der Erdgöttin. Doch der Aspekt, der einst fruchtbar und schön war, weigert sich, seinem Rhythmus zu folgen: „'Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier, aber Schneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.' Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid.“ Die Stiefmutter möchte ihre Schönheit und ihre Macht nicht an die neue Jahreskönigin abgeben. Sie beauftragt den Jäger, Schneewittchen zu töten. Als Jäger wird auch das Sternbild Orion beschrieben. Als starker Jäger lebte der Mythologie nach Orion einst auf Kreta. Als typisches Wintersternbild taucht Orion auf, wenn sich das Jahr zu Ende neigt und der Winter naht. Er tötet Schneewittchen nicht, doch sie muss (aus unserer Welt) fliehen.
Die 7 Zwerge: Hier gibt es für mich 2 anschauliche Interpretationen: Die 7 Zwerge behüten und beschützen Schneewittchen, also die Erde und nehmen sie in ihre Gemeinschaft auf. Die Zahl der klassischen Planeten (bis 1781) waren neben Sonne und Mond 5 mit bloßem Auge sichtbare, also 7. Schneewittchen/die Erde weilt nicht auf unserer Realitätsebene, sie ist behütet von den anderen 7 Planeten.
Eine andere Interpretation sieht in den 7 Planeten das Siebengestirn der Plejaden. Diese Siebenergruppe bildet die Schulter des Sternbildes Stier (der übrigens dicht bei Orion liegt). Der Stier wiederum liegt dem Skorpion gegenüber – dem Zeichen des Todes und der Wandlung. Das Siebengestirn „bewacht“ den Eingang zum Totenreich (Skorpion) wie die 7 Zwerge die geschwundene Kraft der Erde hüten.
Doch schließlich wird Schneewittchen durch einen Apfel „getötet“. Der Apfel ist ein uraltes Fruchtbarkeitssymbol. Mit der Verheißung nun ihre Regentschaft antreten zu können, lockt die Stiefmutter Schneewittchen ins Verderben. Sie wird in einen gläsernen Sarg eingeschlossen. Wie von Eis umgeben liegt sie in Starre. Doch das Frühjahr naht. Der neue Jahreskönig trifft im Wald auf Schneewittchen und bei dem Versuch sie in sein Schloss (Regentschaft) zu bringen, fällt der Sarg auf den Boden und das Apfelstück aus dem Halse Schneewittchens (Es war also nicht der Kuss, der erlöste! ;-) ).
So stellt sich das Märchen von Schneewittchen als ein Mythos des Erdenrhythmus dar. Der Versuch diese Rhythmen zu verändern, ewiges Wachstum zu erzeugen (Stiefmutter), endet schließlich mit dem Tod der Königin.
- Vielleicht auch ein Warnhinweis für uns Menschen: Nichts in der Natur wächst ewig: Auch nicht Geld und Wirtschaft!
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