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Der Übergang zum Patriarchat

13. Feb. 2019 | Von: Stefan Brönnle | Kategorien: Ökophilosophie | 0 Kommentare

Erdkugel. Links Venus von Willendorf, Rechts Zeus

Dass einstmals eine erdzugewandte, matrifokale (also mutterzentrierte, um nicht das m.E. falsche Wort „martiarchal", also „Herrschaft der Mütter", zu verwenden) Kultur herrschte, die sich zum Beispiel durch die etwa 30.000 Jahre alten Figurinen der „Venus von Willendorf", „Venus von Lespugue", oder der „Roten von Mauern" belegen lässt, wird längst nicht mehr bezweifelt. Auch, dass offenbar in der ausgehenden Steinzeit und beginnenden Bronzezeit die matrifokalen Kulturen mehr und mehr durch patriarchale Kulturen, die die Erde beherrschen wollten, anstatt in Harmonie mit ihr zu leben, ersetzt wurden, ist offensichtlich. Doch warum wurde die matrifokale Denkweise zu Gunsten der patriarchalen aufgegeben? Diese Frage treibt mich bereits seit Jahren um.

Die häufigste gegebene Antwort mag zwar richtig sein, lässt aber den Kern der Frage unberührt: Die matrifokalen Kulturen wurden von patriarchal organisierten Stämmen gewaltsam okkupiert. In den germanischen Mythen tritt uns dies z.B. im Kampf der patriarchalen Asen gegen das Göttergeschlecht der Wanen entgegen. Als Gottheiten u. a. des Herdfeuers und Ackerbaus werden den Wanen eher matrifokale Eigenschaften wie Fruchtbarkeit, Erdverbundenheit und allgemeinem Wohlstand zugeschrieben. Vermutlich handelt es sich im mythischen Kampf der Göttergeschlechter um einen tatsächlichen physischen Konflikt verschiedener menschlicher Stammesgruppen, die unterschiedliche Religion und Weltsichten vertraten. Doch rückt dies die entscheidende Frage nur weiter in die Frühzeit hinein: Warum, wenn alles in matrifokaler Zeit so paradiesisch war, wechselte die Weltsicht in das Patriarchat? Warum wurden also in diesem Falle die Vertreter der Asen patriarchal?

Wir müssen also offenbar in der Zeit noch viel weiter zurückgehen. Tatsächlich gibt es in Höhlen in der Sahara Höhlenmalereien aus unterschiedlichsten Epochen. Die ältesten, die aus dem Mesolithikum stammen, also aus einer Zeit um etwa 10.000 vor Christus und bis in eine neolithische Jäger- und Sammlerperiode (etwa 7000 v. Chr.) reichen, zeigen Tiere, wie sie heute eher in Zentralafrika anzutreffen sind: Giraffen, Elefanten, Antilopen. Das Klima muss also deutlich feuchter gewesen sein und in der heutigen Sahara breitete sich eine Savanne aus. Interessant sind die häufigen Darstellungen von Frauen, die z.B. ihr Kind stillen. Männer werden kaum gezeigt. Offenbar eine deutlich matrifokale Kultur. Das ändert sich auf Höhlenmalereien, die aus dem späteren Neolithikum oder gar der Bronzezeit stammen: Neben Kamelen treten vermehrt männliche Darstellungen und vor allem auch kriegerische Szenen in den Vordergrund. Das Klima hatte sich offenbar verändert, die heutige Wüste breitete sich aus. Einher ging dies offenbar mit einer Patriarchalisierung. James DeMeo sieht hierin einen Beleg dafür, dass die Landschaft das Bewusstsein geformt und verändert haben musste. In der Wüste wird der Himmel übermächtig, die Erde tritt zurück. Die Sonne teilt die Erfahrung in ein starkes polares, ja gar dualistisches Erleben: Hitze und Helligkeit am Tag, Kälte und Dunkelheit in der Nacht. Tatsächlich sind die ausgeprägtesten Zonen des Patriarchats (DeMeo spricht vom Patrismus) durch Wüsten- und Steppenregionen geprägt. Hatte also eine Klimaveränderung eine kulturelle Bewusstseinsveränderung hervorgebracht, die sich dann auch in klimatisch besser begünstigte Regionen ausbreitete?

Eine völlig andere Geschichte erzählen aber einige seltene erhalten gebliebene Mythen und Legenden: Einige Jägervölker, die heute durchaus patriarchal organisiert sind, kennen in ihren Mythen eine Zeit, in der die Frauen die alleinige Fähigkeit zu den magischen Künsten besessen hatten. Bei dem Volk der Ona auf Feuerland z.B. erzählt man sich die Legende, dass in jenen fernen Tagen nur die Frauen der Hexerei mächtig waren. Wenn die Mädchen ins Frauenalter kamen, wurden sie in den magischen Künsten unterrichtet. Dazu gehörte auch die Schadmagie. Die Männer, so die Legende, lebten in ständiger Furcht. Wer nicht den Wünschen der Frauen entsprach, wurde mit einer Krankheit behext. Schließlich kamen die Männer zu der Erkenntnis, dass eine tote Hexe allemal ungefährlicher war, als eine lebendige. In einer gemeinsamen Verschwörung töteten sie alle Frauen, die der Magie kundig waren, auch junge Mädchen, die gerade erst unterwiesen worden waren. Damit die Frauen nie wieder diese Macht über die Männer gewinnen konnten, gründeten die Ona-Männer einen Geheimbund und verboten den Frauen bei Todesstrafe ihren Versammlungen zu nahe zu kommen.

Auch das Volk der Yahgan kennt eine, wenngleich auch deutlich unblutigere Variante dieses Mythos. Hier geschah es in gegenseitigem Einvernehmen mit den Frauen, diese von den magischen Künsten zu trennen, da es für das Volk zu gefährlich geworden war.

Die Frage bleibt offen, ob tatsächlich auch in der Endphase der matrifokalen Zeit die Frauen ihre Macht ausgenutzt hatten, oder ob dies lediglich die Propaganda des Siegers ist, der bekanntlich die Geschichte schreibt: „Die Rechtfertigung für dieses Treiben, die die Männer in der Mythe zu geben selbst sich schuldig fühlen, daß nämlich die Frauen zuerst diese Dinge getrieben, und daß das Tun der Männer also nur berechtigter Natur sei, kann kaum standhalten, da hier kein Ackerbau geübt worden ist, der den Frauen jene Vormachtsstellung des Matriarchats hätte geben können, von der die Mythe berichtet." Schreibt Wilhelm Schmidt in „Ursprung der Gottesidee – Die Religionen der Urvölker" (1929).

So bleibt die Frage weiterhin offen, was die menschliche Kultur ins Patriarchat trieb. Machtmissbrauch (von Frauen und/oder Männern) oder ein klimatischer Wandel? Dennoch ist die Frage essenziell, will man nicht jahrtausendealte Fehler erneut begehen. Wir müssen uns wieder der Erde zuwenden, daran besteht kein Zweifel. Das „macht Euch die Erde Untertan", hat bereits zu viele ökologische Schäden hervorgebracht, so dass wir das Patriarchat tatsächlich als auf seinem unrühmlichen Höhepunkt begreifen müssen. Doch was ist die Alternative? Ist eine Rückkehr in eine matrifokale Denkweise überhaupt möglich und wünschenswert? Oder liegt da noch eine ganz andere („genderneutrale") Philosophie jenseits des gedanklichen Horizonts? Müssen wir vielleicht gar den Begriff der „Macht" völlig neu definieren als das, was Erde und Mensch wieder heilig MACHT?

Bild © Stefan Brönnle (unter Verwendung von Bildelementen Thinkstock/fotolia)

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